
Jinjok
Senior Member
Themenstarter
Aus der Frankfurter Rundschau vom 26.04.2002
Festung
Das "geregelte Leben", das uns als Twens immer von den schon richtig Erwachsenen angepriesen wurde, stellt sich schließlich heraus als: Freunde zum Abendessen da zu haben, ein bisschen vor sich hin zu dösen, und plötzlich aufzuhorchen - worüber reden wir gerade? Ja, richtig gehört: Wir reden tatsächlich über unsere Putzfrauen.
Eigentlich nicht ganz überraschend, dieser Lebenswandel, denn mit dem Decken des Tisches fing es heute Abend schon an. Früher, vor wenigen Jahren noch, stellte man einfach einen sehr großen Topf in die Mitte, und Nudeln hingen nach allen Seiten über den Rand, und jeder zog sich, wenn ihm danach war, einen Ballen Nudeln auf den Teller. Und was waren das für Teller! Bei manchen kannte man die halbe Lebensgeschichte: Zwei davon hatte Jules Tante (die in einer Porzellanfabrik arbeitete) Jule zum Einzug in ihre erste WG geschenkt, genau genommen waren es sogar fünf. Aber einen hat Ingos Töchterchen ihren Meerschweinchen als Badewanne angeboten, und zwei weitere haben die Spülmaschine nicht überlebt. Irgendwann wurde Ingo auf den Flohmarkt geschickt, um neue (alte) Teller zu kaufen, die halbwegs dazu passen sollten; dass sie aber dazu passten, fand danach nur Ingo.
Und heute: Auch wenn's nicht echt ist, sieht irgendwie alles aus wie von Villeroy & Boch. Serie Petite Marie-Antoinette, Nachkaufgarantie bis 2060. Und wenn die Petites Marie-Antoinettes abgegessen sind, setzen wir uns nicht etwa auf den Boden, auf Kuschelkissen oder Schaumgummimatratzen, sondern aufs Sofa - ach, das macht doch nichts, wenn ein paar Krümel runtergefallen sind, die Bezüge kann man abnehmen und waschen. Und morgen kommt sowieso die Gosia.
Sobald der Name "Gosia" fällt, bekommt Jule leuchtende Augen: "Ich hätte auch gern eine polnische Perle. Aber deine Gosia hat ja nichts mehr frei."
"Tja, nicht alle Polinnen sind so zuverlässig. Bei meiner Kollegin ist eine, die huddelt nur kurz über alles drüber."
"Na immerhin. Bei den Thailänderinnen muss man immer dabei bleiben. Sonst setzen die sich hin und rufen ihre Freundinnen an."
"In Thailand?"
"Nein, in Deutschland. Aber trotzdem, geputzt wird dann natürlich nicht."
"Dafür sind Thailänderinnen aber billiger. Wieviel zahlt ihr?"
"Sieben Euro. Die kann dafür halt kein Wort Deutsch. Wenn sie Deutsch können, nehmen sie sofort ein bisschen mehr."
Ja, die angemessene Bezahlung anderer ist eben auch so eine Verantwortung, die auf einen zukommt, wenn man das "geregelte Leben" führt; wir tragen schwer daran und seufzen wie aus einer Brust. Aber war es nicht Jule, die damals das "Frauen aller Länder, vereinigt euch!"-Camp organisiert hat? Und ist das noch derselbe Ingo, der mit Edding "festung europa, du wirst fallen" auf seine Jeans - und zwar auf alle seine Jeans - geschrieben hat? Gut, man könnte sagen, immerhin reden wir nicht über Steuertricks. Über Zweitwagen oder einen Wachdienst zum Schutz gegen Jugendbanden. Aber die Zeit kommt auch noch. sez
Festung
Das "geregelte Leben", das uns als Twens immer von den schon richtig Erwachsenen angepriesen wurde, stellt sich schließlich heraus als: Freunde zum Abendessen da zu haben, ein bisschen vor sich hin zu dösen, und plötzlich aufzuhorchen - worüber reden wir gerade? Ja, richtig gehört: Wir reden tatsächlich über unsere Putzfrauen.
Eigentlich nicht ganz überraschend, dieser Lebenswandel, denn mit dem Decken des Tisches fing es heute Abend schon an. Früher, vor wenigen Jahren noch, stellte man einfach einen sehr großen Topf in die Mitte, und Nudeln hingen nach allen Seiten über den Rand, und jeder zog sich, wenn ihm danach war, einen Ballen Nudeln auf den Teller. Und was waren das für Teller! Bei manchen kannte man die halbe Lebensgeschichte: Zwei davon hatte Jules Tante (die in einer Porzellanfabrik arbeitete) Jule zum Einzug in ihre erste WG geschenkt, genau genommen waren es sogar fünf. Aber einen hat Ingos Töchterchen ihren Meerschweinchen als Badewanne angeboten, und zwei weitere haben die Spülmaschine nicht überlebt. Irgendwann wurde Ingo auf den Flohmarkt geschickt, um neue (alte) Teller zu kaufen, die halbwegs dazu passen sollten; dass sie aber dazu passten, fand danach nur Ingo.
Und heute: Auch wenn's nicht echt ist, sieht irgendwie alles aus wie von Villeroy & Boch. Serie Petite Marie-Antoinette, Nachkaufgarantie bis 2060. Und wenn die Petites Marie-Antoinettes abgegessen sind, setzen wir uns nicht etwa auf den Boden, auf Kuschelkissen oder Schaumgummimatratzen, sondern aufs Sofa - ach, das macht doch nichts, wenn ein paar Krümel runtergefallen sind, die Bezüge kann man abnehmen und waschen. Und morgen kommt sowieso die Gosia.
Sobald der Name "Gosia" fällt, bekommt Jule leuchtende Augen: "Ich hätte auch gern eine polnische Perle. Aber deine Gosia hat ja nichts mehr frei."
"Tja, nicht alle Polinnen sind so zuverlässig. Bei meiner Kollegin ist eine, die huddelt nur kurz über alles drüber."
"Na immerhin. Bei den Thailänderinnen muss man immer dabei bleiben. Sonst setzen die sich hin und rufen ihre Freundinnen an."
"In Thailand?"
"Nein, in Deutschland. Aber trotzdem, geputzt wird dann natürlich nicht."
"Dafür sind Thailänderinnen aber billiger. Wieviel zahlt ihr?"
"Sieben Euro. Die kann dafür halt kein Wort Deutsch. Wenn sie Deutsch können, nehmen sie sofort ein bisschen mehr."
Ja, die angemessene Bezahlung anderer ist eben auch so eine Verantwortung, die auf einen zukommt, wenn man das "geregelte Leben" führt; wir tragen schwer daran und seufzen wie aus einer Brust. Aber war es nicht Jule, die damals das "Frauen aller Länder, vereinigt euch!"-Camp organisiert hat? Und ist das noch derselbe Ingo, der mit Edding "festung europa, du wirst fallen" auf seine Jeans - und zwar auf alle seine Jeans - geschrieben hat? Gut, man könnte sagen, immerhin reden wir nicht über Steuertricks. Über Zweitwagen oder einen Wachdienst zum Schutz gegen Jugendbanden. Aber die Zeit kommt auch noch. sez