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TH-Reisbauern in der Modernisierungsfalle

Diskutiere TH-Reisbauern in der Modernisierungsfalle im Thailand News Forum im Bereich Thailand Forum; Aus der Süddeutschen Zeitung vom 30.04.2002 Thailands Landwirte in der Modernisierungsfalle „Je mehr sie arbeiten, desto ärmer werden sie“...
Jinjok

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Aus der Süddeutschen Zeitung vom 30.04.2002

Thailands Landwirte in der Modernisierungsfalle

„Je mehr sie arbeiten, desto ärmer werden sie“

Kleinbauern im Norden des Landes protestieren gegen die Folgen der Globalisierung / Hohe Schuldenlast


Von Andreas Bänziger

Rechne. Wie viel kostet das Saatgut für ein Rai (1600 Quadratmeter) Reis oder Zwiebeln? Wie viel der Dünger? Wie viel die Pflanzenschutzmittel? Wie viel die Pacht für das Land? Und wie viel kann man für die Ernte erlösen? Es ist eine komplizierte Rechnung, und wir diskutieren lange unter einem Mangobaum vor einem ärmlichen Haus im Dorf Rim Wang, eine Stunde westlich von Chiang Mai, der Hauptstadt von Thailands Norden. Eine Frau bügelt mit einem Holzkohlebügeleisen Bananenblätter, in die sie Tabak einrollt. Die grünen Zigarren helfen beim Rechnen. Nicht alle Bauern rechnen gleich, nicht alle verkaufen zum selben Preis. Aber am Schluss sind sich alle einig: Die Rechnung geht nicht auf. „Das Problem der Bauern ist – je mehr sie arbeiten, desto ärmer werden sie”, fasst einer die Situation zusammen.

Die Bauern in dieser Region haben zwei Reisernten pro Jahr. Dazwischen pflanzen sie Zwiebeln an. Der Reis ist zum größten Teil für den Eigenkonsum. Die Zwiebeln, zum Teil auch Tabak, sollen darüber hinaus das nötige Bargeld bringen. Aber die Zwiebeln sind zu wenig profitabel, um auch die Produktionskosten für den Reis wieder hereinzubringen. Am Ende der Saison haben die Bauern zwar gegessen, aber sie können die Kredite nicht zurückzahlen, die sie bei der staatlichen Bank für Landwirtschaft und landwirtschaftliche Genossenschaften (BAAC) aufgenommen haben.

Kein eigenes Land mehr

Die Bauern sitzen in der Modernisierungsfalle. Im Zuge einer Regierungspolitik, die ganz auf schnelllebige Produktionssteigerungen und damit Monetarisierung aus ist, wurden sie abhängig vom Zukauf des Saatguts, das wiederum nur unter Verwendung von Dünger und Pestiziden gedeiht. Zum Beweis hebt Bauer Sommay Konkaew am Rand seines Reisfelds leere Plastikflaschen auf: Herbizide und Insektizide der internationalen Konzerne Monsanto und Zeneca. Die Landwirtschaft ist globalisiert, aber die Bauern sind pleite. Auf einer Flasche wird mittels Zeichnungen erklärt, dass man beim Ausbringen des Pestizids Schuhe, eine Maske und Handschuhe tragen soll - ziemlich illusorisch in dieser armen Gegend. Neunzig Prozent der Kleinbauern in dieser Region haben kein eigenes Land mehr. Während des Wirtschaftsbooms der neunziger Jahre waren die Landpreise hoch. Spekulanten kauften den verschuldeten Bauern das Land ab in der Hoffnung, es einmal in Bau- oder Industrieland umzuwandeln. „Damals war dumm, wer nicht verkaufte”, sagt Sommay. „Heute ist derjenige der Dumme, der verkauft hat.” Die Bauern müssen ihr eigenes Land zurückpachten, und das kommt zu den Produktionskosten noch dazu. 2500 bis 5000 Baht kostet die Pacht für ein Rai Land, 60 bis 120 Euro. Dazu tragen die Bauern ein erhebliches Risiko. Durchschnittlich jedes dritte Jahr werden die Zwiebelkulturen überschwemmt, dann sind die Investitionen weg und es bleiben nur die Schulden. Die Monetarisierung der Landwirtschaft wirkt sich zum Nachteil der Kleinbauern aus. „Jedes Jahr legen wir drauf”, klagen die Bauern.

Dieses Wirtschaften ist nur möglich, weil der größte Teil der Bauern ein Zusatzeinkommen aus dem nichtlandwirtschaftlichen Sektor hat. Aber das war in den Boomjahren leichter als heute. Damals gab es in den Städten und vor allem in der Metropole Bangkok jede Menge Jobs, in der Industrie sowie auf dem Bau. Und mancher Bauer mag sich nicht lange gefragt haben, woher das Geld kam, das die Tochter aus der Hauptstadt nach Hause überwies. Mit der Krise, die 1997 über Thailand hereinbrach und deren Folgen noch längst nicht ausgestanden sind, entfiel ein großer Teil dieser Zusatzeinkommen. Die Kleinbauern wurden zu doppelten Verlierern des Globalisierungs-Booms: In den guten Zeiten verkauften sie ihr Land, um Schulden zu bezahlen oder sich vielleicht auch das begehrte Motorrad zu leisten; in den schlechten Zeiten bleibt das Einkommen aus der modernen Wirtschaft weg, auf das sie gezählt hatten. Die ältere Generation hatte sowieso nie von dem Boom profitiert. „Wir Bauern können nichts anderes als Landwirtschaft”, sagen die Leute in Rim Wang. „Wir haben auch nicht das nötige Selbstvertrauen, um etwas anderes zu versuchen.”

Thailands Hauptproblem ist die Verschuldung, sowohl im modernen Wirtschaftssektor, wo Berge von nicht mehr bedienten Schulden zu restrukturieren sind, als auch im Agrarbereich, wo viele arme Bauern unter der Schuldenlast stöhnen. Nicht zuletzt mit dem Thema Schulden hat der gegenwärtige Premierminister Thaksin Shinawatra die Wahlen vom Januar 2001 gewonnen. Er versprach den Bauern ein dreijähriges Schuldenmoratorium, und das wird jetzt auch durchgeführt. Alle Bauern mit Schulden von weniger als 100 000 Baht (2500 Euro) müssen ihre Schulden erst in drei Jahren zurückzahlen. Das nützt ihnen freilich auch nicht viel, denn bevor sie die Schulden nicht zurückgezahlt haben, bekommen sie auch keine neuen Kredite. Sonst ginge die Agrarbank BAAC pleite, die mit ihren vielen kleinen Sparern und ihren vielen kleinen Kreditnehmern die Finanzkrise ganz im Unterschied zu den allermeisten Banken Thailands problemlos überstanden hat. Die Bauern müssen also doch zu privaten Geldverleihern gehen, die bis zu 20 Prozent Zins nehmen – im Monat.

Jetzt sind die Bauern, auf die man früher kaum Rücksicht nehmen musste beim Streit der Elite um Macht und Geld, lautstark am Protestieren. Im März und April kampierten sie drei Wochen lang vor dem Gebäude der Provinzverwaltung von Chiang Mai. Sie schliefen und kochten in einem großen Zeltlager vor dem pompösen Regierungsgebäude aus besseren Zeiten. Jeden Tag gab es friedliche Demonstrationen, jeden Tag schwenkten die Bauern tausende von roten Fähnchen, auf denen ihre Forderungen standen: „Schuldenbefreiung”, „Gebt uns das Land, das Wasser, den Wald zurück”, „Erhöht die Preise - stoppt den freien Welthandel”. Ein friedlicher Bauernaufstand ist im Gange.

Druck der Billigimporte

Die Welthandelsorganisation WTO, der Internationale Währungsfonds, die Weltbank sind hier Schimpfwörter. „Die WTO macht die Preise von Zwiebeln, Reis und Früchten kaputt”, sagt ein Bauer. „Weil es keine Zollschranken mehr gibt, wird das Land von Billigimporten überschwemmt.” Die Bauern machen die Industrialisierungspolitik der Regierung und die einseitige Konzentration der Entwicklung auf die Region Bangkok für ihre Probleme verantwortlich.

„Die Bauern haben die Kontrolle über ihre Produktion verloren”, sagt Preuk Taotawin, einer der Verantwortlichen der „Vereinigung der Armen”, der Organisation, die die wochenlangen Proteste organisierte. „Das Saatgut, der Dünger, die Pflanzenschutzmittel werden ihnen vorgeschrieben, auf die Preise haben sie keinen Einfluss.” Die Bauern sehen sich immer mehr als Opfer der Globalisierung, die Thailand eine Phase des fantastischen Wachstums, dann aber auch einen fantastischen Absturz beschert hat.

Wenn es nach dem Willen der Regierung geht, sollen die Bauern im Zuge der Liberalisierung und Privatisierung der Wirtschaft demnächst auch für das Wasser bezahlen, das sie zur Bewässerung ihrer Kulturen brauchen. Dann sind sie endgültig ruiniert.
 
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