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odysseus
Gast
Servus
Gelesen bei http://www.ndrtv.de/weltspiegel/20030209/malaysia.html
Es ist zwar das Nachbarland von Thailand, aber gewiss nicht zu verachten, welch eine Gefahr davon ausgehen kann.
MALAYSIA: Schleier für Vierjährige
Die Bewohner des Touristenparadieses Terengganu sind fromme Moslems, seit Generationen schon. Das islamische Recht, die Scharia, habe viele hier trotzdem nicht vermisst. Handabhacken bei Diebstahl, Steinigung bei Ehebruch, das alles soll nun aber bald kommen, wenn es nach dem mächtigen Oppositionsführer Abdul Hadi Awang geht.
Wie ernst er es meint, zeigt ein Besuch in einem Kindergarten seiner Partei PAS: Dort lernen vierjährige die islamischen Werte kennen. Und auch den Schleier müssen sie hier bereits anlegen.
Wenn der Regierungschef des Bundesstaates Terengganu predigt, gibt es regelmäßig Verkehrsstaus vor seiner Moschee. Im Hof warten die Anhänger auf das Erscheinen des Mannes, den sie "Meister" nennen. Der "Chief-Minister" von Terengganu ist auch islamischer Geistlicher. Abdul Hadi Awang, 55 Jahre alt, ist Doktor des islamischen Rechts, er hat in Saudi Arabien und Ägypten studiert.
Diese Moschee ist eine Domäne seiner Familie. Schon sein Vater und sein Großvater waren hier Prediger und religiöse Führer. Hadi ist auch Chef der PAS, der Pan-Malaysischen Islamischen Partei und damit Führer der stärksten politischen Opposition in ganz Malaysia. Bei der nächsten Wahl will die PAS auch die Zentralregierung des Landes erobern. Das Touristenparadies Terengganu ist ein relativ unterentwickelter Staat. Seine Bewohner sind traditionell fromme Moslems. Unter den Tropenpalmen überall Moscheen. Den Wählern in seinem Staat hat Hadi Awang versprochen, hier das islamische Recht einzuführen: Steinigung für Ehebruch, Handabhacken für Diebstahl. Das gelte, sagt er, nur für Moslems.
Er hat zwei offizielle Ehefrauen und 14 Kinder. Frauen sollen den Schleier tragen, sagt er, damit die Männer nicht erregt werden und es zu Vergewaltigungen kommt. Ein Parteikindergarten: Überall im Staat betreibt die PAS solche Erziehungsanstalten. Die Kinder lernen erstes Rechnen und Lesen. Und natürlich, so sagt man uns, werden hier islamische Werte eingeübt. Gemischte Klassen sind erlaubt, weil die Kinder noch so klein sind. Warum aber der Schleier für vierjährige Mädchen? Es wäre keine Sünde, wenn sie nicht die Schleier trügen, sagt der PAS-Mann. Aber wir gewöhnen sie frühzeitig daran, damit sie nicht später darunter leiden.
In der Moschee lernen die Kinder, wie man sich zum Beten richtig hinstellt und wie man die Hände halten muss. Die Einhaltung von Regeln wird immer bedeutsamer im Islam Südostasiens. Die malayischen Moslems galten für Jahrhunderte als besonders liberal, sanft und tolerant. In den letzten Jahrzehnten erst wächst in Malaysia der Ruf nach Einführung der Sharia, des islamischen Rechts. Eine Reihe von PAS-Funktionären hat uns zum Kindergarten begleitet. Einer von ihnen hatte uns gesagt, er habe einen Gesetzentwurf zur Einführung islamischen Rechts verfasst. Aber jetzt will er nicht darauf angesprochen werden. Später, später, sagt er. Später wird uns klar, wo die Gründe liegen für solch seltsame Geheimniskrämei.
Löwentanz für den islamischen Regierungschef: Hadi, auf Goodwill-Reise durch seinen Staat, umwirbt Angehörige der chinesischen Minderheit in Terengganu mit demonstrativen Zeichen der Toleranz. Die chinesische Minderheit nämlich hat Angst vor den Plänen der PAS. Zwar soll das islamische Recht nur für Moslems gelten, aber schon heute sind Nachtclubs und Spielcasinos generell verboten, Alkohol-Ausschank eingeschränkt. Um die Minderheiten und auch die gemäßigten Moslems im Land nicht zu verschrecken, hat die PAS die Sharia-Einführung erst einmal vertagt. Stattdessen: Geschenke zum chinesischen Neujahrsfest.
Ein paar hundert Kilometer weiter südlich, in der Hauptstadt Kuala Lumpur findet man ein ganz anderes Malaysia. Hier gehen viele, aber längst nicht alle Moslem-Frauen verschleiert. Chinesen und Inder, meist Christen, Hindu oder Buddhisten, stellen ein gutes Drittel der Bevölkerung. Wenn die PAS hier gewählt werden will, muss sie sich gemäßigt geben. Hand auf zum Gebet: Seit über zwanzig Jahren führt Mahatir Mohammad die Zentralregierung von Malaysia. Vor dieser Diskussion mit dem Premierminister betet der ganze Saal. Selbst der Mann an der live-Kamera. Auch in der Hauptstadt haben islamische Frömmigkeit und Fundamentalismus mehr und mehr Zulauf.
Für Mahatir bedeutet das - in Umkehrung der PAS-Taktik - dass er sich immer "islamischer" präsentieren muss, um moslemische Wähler zu halten. Das neue Regierungsviertel von Kuala Lumpur bietet eine Mischung aus Religiosität und Größenwahn. Hier versucht Mahatir seine Vision des modernen Malaysia darzustellen. Tatsächlich kann sein Land zu weiten Teilen als gelungenes Entwicklungsmodell gelten. Gleichzeitig trägt die Herrschaft des "Doktor M." wie man ihn hier nennt, durchaus autokratische Züge. Er hat lange nicht nur die islamischen Fundamentalisten in Schach gehalten, sondern auch die Ansätze einer liberalen Opposition im Land unterdrückt. Im Herbst wird er abtreten.
Zurück in Terengganu. Der geistliche Regierungschef hat seine Predigt beendet. Für ihn ist Mahatir nicht nur ein politischer Gegner, sondern grundsätzlich ein "Feind des Islam". Die fundamentalistische PAS des Hadi Awang ist die einzige gut organisierte und große Oppositionspartei gegen die herrschende autokratische Zentralregierung. Eine dritte Kraft ist nicht in Sicht. Das ist die politische Tragik Malaysias.
Von Robert Hetkämper

Gelesen bei http://www.ndrtv.de/weltspiegel/20030209/malaysia.html
Es ist zwar das Nachbarland von Thailand, aber gewiss nicht zu verachten, welch eine Gefahr davon ausgehen kann.
MALAYSIA: Schleier für Vierjährige
Die Bewohner des Touristenparadieses Terengganu sind fromme Moslems, seit Generationen schon. Das islamische Recht, die Scharia, habe viele hier trotzdem nicht vermisst. Handabhacken bei Diebstahl, Steinigung bei Ehebruch, das alles soll nun aber bald kommen, wenn es nach dem mächtigen Oppositionsführer Abdul Hadi Awang geht.
Wie ernst er es meint, zeigt ein Besuch in einem Kindergarten seiner Partei PAS: Dort lernen vierjährige die islamischen Werte kennen. Und auch den Schleier müssen sie hier bereits anlegen.
Wenn der Regierungschef des Bundesstaates Terengganu predigt, gibt es regelmäßig Verkehrsstaus vor seiner Moschee. Im Hof warten die Anhänger auf das Erscheinen des Mannes, den sie "Meister" nennen. Der "Chief-Minister" von Terengganu ist auch islamischer Geistlicher. Abdul Hadi Awang, 55 Jahre alt, ist Doktor des islamischen Rechts, er hat in Saudi Arabien und Ägypten studiert.
Diese Moschee ist eine Domäne seiner Familie. Schon sein Vater und sein Großvater waren hier Prediger und religiöse Führer. Hadi ist auch Chef der PAS, der Pan-Malaysischen Islamischen Partei und damit Führer der stärksten politischen Opposition in ganz Malaysia. Bei der nächsten Wahl will die PAS auch die Zentralregierung des Landes erobern. Das Touristenparadies Terengganu ist ein relativ unterentwickelter Staat. Seine Bewohner sind traditionell fromme Moslems. Unter den Tropenpalmen überall Moscheen. Den Wählern in seinem Staat hat Hadi Awang versprochen, hier das islamische Recht einzuführen: Steinigung für Ehebruch, Handabhacken für Diebstahl. Das gelte, sagt er, nur für Moslems.
Er hat zwei offizielle Ehefrauen und 14 Kinder. Frauen sollen den Schleier tragen, sagt er, damit die Männer nicht erregt werden und es zu Vergewaltigungen kommt. Ein Parteikindergarten: Überall im Staat betreibt die PAS solche Erziehungsanstalten. Die Kinder lernen erstes Rechnen und Lesen. Und natürlich, so sagt man uns, werden hier islamische Werte eingeübt. Gemischte Klassen sind erlaubt, weil die Kinder noch so klein sind. Warum aber der Schleier für vierjährige Mädchen? Es wäre keine Sünde, wenn sie nicht die Schleier trügen, sagt der PAS-Mann. Aber wir gewöhnen sie frühzeitig daran, damit sie nicht später darunter leiden.
In der Moschee lernen die Kinder, wie man sich zum Beten richtig hinstellt und wie man die Hände halten muss. Die Einhaltung von Regeln wird immer bedeutsamer im Islam Südostasiens. Die malayischen Moslems galten für Jahrhunderte als besonders liberal, sanft und tolerant. In den letzten Jahrzehnten erst wächst in Malaysia der Ruf nach Einführung der Sharia, des islamischen Rechts. Eine Reihe von PAS-Funktionären hat uns zum Kindergarten begleitet. Einer von ihnen hatte uns gesagt, er habe einen Gesetzentwurf zur Einführung islamischen Rechts verfasst. Aber jetzt will er nicht darauf angesprochen werden. Später, später, sagt er. Später wird uns klar, wo die Gründe liegen für solch seltsame Geheimniskrämei.
Löwentanz für den islamischen Regierungschef: Hadi, auf Goodwill-Reise durch seinen Staat, umwirbt Angehörige der chinesischen Minderheit in Terengganu mit demonstrativen Zeichen der Toleranz. Die chinesische Minderheit nämlich hat Angst vor den Plänen der PAS. Zwar soll das islamische Recht nur für Moslems gelten, aber schon heute sind Nachtclubs und Spielcasinos generell verboten, Alkohol-Ausschank eingeschränkt. Um die Minderheiten und auch die gemäßigten Moslems im Land nicht zu verschrecken, hat die PAS die Sharia-Einführung erst einmal vertagt. Stattdessen: Geschenke zum chinesischen Neujahrsfest.
Ein paar hundert Kilometer weiter südlich, in der Hauptstadt Kuala Lumpur findet man ein ganz anderes Malaysia. Hier gehen viele, aber längst nicht alle Moslem-Frauen verschleiert. Chinesen und Inder, meist Christen, Hindu oder Buddhisten, stellen ein gutes Drittel der Bevölkerung. Wenn die PAS hier gewählt werden will, muss sie sich gemäßigt geben. Hand auf zum Gebet: Seit über zwanzig Jahren führt Mahatir Mohammad die Zentralregierung von Malaysia. Vor dieser Diskussion mit dem Premierminister betet der ganze Saal. Selbst der Mann an der live-Kamera. Auch in der Hauptstadt haben islamische Frömmigkeit und Fundamentalismus mehr und mehr Zulauf.
Für Mahatir bedeutet das - in Umkehrung der PAS-Taktik - dass er sich immer "islamischer" präsentieren muss, um moslemische Wähler zu halten. Das neue Regierungsviertel von Kuala Lumpur bietet eine Mischung aus Religiosität und Größenwahn. Hier versucht Mahatir seine Vision des modernen Malaysia darzustellen. Tatsächlich kann sein Land zu weiten Teilen als gelungenes Entwicklungsmodell gelten. Gleichzeitig trägt die Herrschaft des "Doktor M." wie man ihn hier nennt, durchaus autokratische Züge. Er hat lange nicht nur die islamischen Fundamentalisten in Schach gehalten, sondern auch die Ansätze einer liberalen Opposition im Land unterdrückt. Im Herbst wird er abtreten.
Zurück in Terengganu. Der geistliche Regierungschef hat seine Predigt beendet. Für ihn ist Mahatir nicht nur ein politischer Gegner, sondern grundsätzlich ein "Feind des Islam". Die fundamentalistische PAS des Hadi Awang ist die einzige gut organisierte und große Oppositionspartei gegen die herrschende autokratische Zentralregierung. Eine dritte Kraft ist nicht in Sicht. Das ist die politische Tragik Malaysias.
Von Robert Hetkämper
