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waldi
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Quelle: TIP teilweise übersetzt aus der Bangkok Post
Ein Staat ist ein Unternehmen
Anfang April hielt Pasuk Phongpaichit, eine angesehene Wirtschaftsprofessorin an der Chulalongkorn Universität, anlässlich eines Seminars zum Thema ‚Staatsmann oder Manager’ einen Vortrag, den die Bangkok Post vor kurzem in voller Länge veröffentlichte. Sie präsentiert darin einige interessante Antworten auf die Fragen, warum Großunternehmer wie Thaksin in die thailändische Politik eingegriffen haben und welche Ziele sie damit verfolgen. Wir haben die wichtigsten Passagen daraus frei übersetzt:
“Ein Unternehmen ist ein Staat. Ein Staat ist ein Unternehmen. Sie sind ein und dasselbe, das Management ist dasselbe.“ Thaksin, im November 1997.
Thaksins fulminanter Wahlsieg 2001 darf nicht nur als sein ganz persönlicher Triumph gesehen werden. Es war in Wahrheit der triumphale Einzug des ‚Big Business’ in die thailändische Politik.
Thaksin ist nicht der einzige große Geschäftsmann in dieser Regierung oder in ihrem Nahbereich. Sowohl die Regierungsmannschaft als auch die TRT-Partei besteht zum beträchtlichen Teil aus Angehörigen jener Big Business-Familien, die es irgendwie geschafft haben, die große Krise von 1997 einigermaßen unbeschadet zu überstehen. Das Big Business hat unseren Staat übernommen. Wie ist das vor sich gegangen?
Zuallererst muß man verstehen, daß das nichts grundsätzlich Neues ist. Bereits zu Zeiten der Militärdiktatur waren die Großunternehmer politisch eng mit den Machthabern verbunden. Danach spielten einige von ihnen bei der Entwicklung der Demokratie eine bedeutende Rolle. Sie traten aber später in den Hintergrund, weil sie während der letzten beiden Jahrzehnte keine Ursache mehr sahen, eine politische Rolle zu übernehmen, und das aus einem doppelten Grund.
Erstens schien die Globalisierung für sie in den Jahren vor 1997 eine großartige Sache zu sein. Die Großunternehmen waren diejenigen, die am meisten von ihr profitierten, mehr als andere Wirtschaftssektoren oder Bevölkerungsgruppen, weil sie ihnen verstärkten Zugang zu Technologien, Ideen, Ausbildung, Märkten und Finanzmitteln brachte. Großunternehmen brauchten den Staat nicht, um mit der Globalisierung zurechtzukommen.
Zweitens erledigte der Staat seine Aufgabe in ihren Augen recht gut, ohne ihnen dabei in die Quere zu kommen. Er baute die Infrastruktur aus, er hielt die Arbeitnehmer im Zaum, achtete darauf, daß die makroökonomischen Rahmenbedingungen stabil blieben, und mischte sich weiter nicht ein.
Dieser Zustand änderte sich aber in den neunziger Jahren, speziell im Krisenjahr 1997, in drei entscheidenden Punkten.
Erstens erwies sich das bestehende politische System als extrem unfähig, die Interessen der Großunternehmen zu schützen. Eigentlich stolperte diese Regierung wie ein Schlafwandler in diese Krise, die viele der größten Unternehmen des Landes in den Ruin trieb.
Zweitens war die Globalisierung, zuvor noch als guter Freund gesehen, plötzlich zum Feind in der Gestalt des IMF (internationalen Währungsfonds) und gieriger ausländischer Spekulanten geworden.
Und drittens begann die Gesellschaft, immer mehr Forderungen zu stellen. Die Neunziger waren eine Zeit der Proteste, der Entstehung neuer Organisationen und der Diskussionen über gesellschaftlichen Wandel.
Aufgrund dieser entscheidenden Entwicklungen beschlossen die Großunternehmer, wieder eine größere politische Rolle zu spielen. Dabei kamen ihnen zwei andere Entwicklungen sehr gelegen.
Zum einen wiesen einige Teile der neuen Verfassung von 1997 einen städtischen, zentralistischen Charakter auf, der sehr einladend für das Big Business war. Zum anderen ließ sich das allgemeine Chaos, das in einem ebenso allgemeinen Ruf nach Veränderungen mündete, mittels Wahlversprechen und Partei-Image sehr gut ausnutzen.
Lassen Sie mich nun zum Hauptteil meiner Ausführungen kommen: auf welche Weise und zu welchem Zweck will das Big Business den Staat benutzen? Ich werde diesen Teil in zwei Bereiche gliedern, im weitesten Sinn in einen wirtschaftlichen und einen sozio-politischen Bereich.
Zuerst zum wirtschaftlichen Aspekt: diese Regierung will eine Veränderung in Richtung eines ‚entwicklungsorientierten’ Staates, wie sie die politischen Führer der vorletzten Generation in anderen Teilen Asien bereits vorexerziert hat. Mit entwicklungsorientiert meine ich, daß der Staat eine aktivere Rolle einnimmt in Hinblick auf den Schutz und die Entwicklung des inländischen Kapitals, um damit ein höheres Wirtschaftswachstum zu erreichen.
Auch das ist eigentlich nichts Neues. Boonchu Rojanastien, der damalige Finanzminister und Bankier, hatte schon 1980 die ‚Thailand Inc.’ propagiert und verkündet: “Wir sollten das Land wie eine Firma führen.“ Dieser Vorstoß wurde damals von den Militärs abgeblockt aus Sorge, ein ungebändigter Kapitalismus könnte einen ebenso ungebändigten Kommunismus hervorrufen. (Seitdem der Weltkommunismus zusammengebrochen ist, ist diese Gefahr ja nicht mehr so groß. Anm. d. Red.). Wenn Thaksin jetzt von der ‚Thailand Co. Limited’ redet, wiederholt er fast wortwörtlich, was Boonchu damals gesagt hatte.
Wirtschaftswachstum ist der zentrale Punkt von Thaksins Regierungspolitik. Vorerst ging es primär darum, einen Weg aus der Krise zu finden. Als das gelang, wurde das Erreichen des OECD-Status und der Sprung in die Erste Welt als neues Ziel ausgerufen. Und dieses Ziel überstrahlt alle anderen.
Frühere entwicklungsorientierte Länder wie Japan, Südkorea oder Taiwan wollten den einheimischen Kapitalismus mittels dreier politischer Strategien ,zwangsentwickeln’: durch gelenkte Kreditvergabe, durch spezielle industriepolitische Maßnahmen, vor allem durch Schutz und Förderung bestimmter Sektoren und Unternehmen, und die Kontrolle über die Arbeitnehmerschaft.
Thailands modernisierte entwicklungsorientierte Politik sieht in einigen wichtigen Punkten etwas anders aus, weil sich inzwischen die Zeiten geändert haben und die thailändische Situation ihre eigene, ganz spezielle Charakteristik aufweist.
Ein wichtiger Unterschied zu damals liegt darin, daß Thailand schon seit Jahren kontinuierlich den Weg der Liberalisierung beschritten hat, zuerst des Handels und später auch der Finanzen. Würde man jetzt davon abgehen, könnte das sehr teuer kommen. Seit der Krise von 1997 sind fast alle größeren Unternehmen – vor allem die Exportunternehmen – in transnationale Firmen eingebunden. Thaksins Politik zielt nicht darauf ab, sie von dieser transnationalen Dominanz zu befreien. Sie trachtet eher danach, Thailand als Standort für Exporte, als Tourismusdestination und als Ziel für Auslandsinvestitionen zu propagieren und gleichzeitig die Position des Landes innerhalb der transnationalen Produktionsketten zu verbessern.
Aber parallel dazu versucht die Regierung sehr wohl, das Inlandskapital zu schützen und zu fördern, vorwiegend in Sektoren, die den Inlandskonsum betreffen, und dort vor allem im Dienstleistungsbereich. Diese Sektoren sich einigermaßen sicher vor ausländischer Konkurrenz, nicht so sehr durch Handelsbarrieren, sondern eher durch gesetzliche Vorschriften, wie zum Beispiel dem Verbot des Landbesitzes für Ausländer oder die Restriktion ausländischer Investitionen in Medien und Telekommunikationseinrichtungen.
Diese Bereiche sind genau jene, in denen die mit der Regierung verbundenen Familienunternehmen tätig sind.
Die Regierung bewegt sich immer mehr in Richtung Förderung von Klein- und Mittelunternehmen (KMU’s) und von Industrien, eine Politik, die man früher ‚Industrialisierungspolitik’ nannte, die sie selbst aber als ‚Verbesserung der Wettbewerbsfähigkeit’ bezeichnet - ein Ausdruck der Business Schools. Fünf strategische Zielbereiche für die Industrialisierung wurden öffentlich bekannt gegeben: Mode, Landwirtschaft, Autos, Informations- und Computertechnologie und Dienstleistungen, darunter Tourismus, Restaurants, Medizin und Logistik. Ein paar weitere werden eindeutig durch Vetternwirtschaft gefördert.
Zusätzlich ist die Regierung bestrebt, die Kreditvergabe zu bündeln, und zwar in einem noch nie gesehenen Ausmaß. Die Krise von 1997 bedeutete für viel Handelsbanken und private Kreditinstitute das Ende. Diejenigen, die überlebten, sind heute sehr zurückhaltend bei der Kreditvergabe. Große Teile der Bankvermögen gerieten damals unter Regierungskontrolle. Die regierungseigene Krung Thep Bank mutierte von einem schläfrigen Dinosaurier zum größten Kreditinstitut des Landes. Daneben mobilisierte die Regierung andere dahinvegetierende staatseigene Banken und Finanzinstitutionen, erweiterte ihren Aufgabenbereich und wies sie an, Kredite zu vergeben. Sie versuchte auch, brachliegendes Kapital von den verbliebenen Handelsbanken abzuzweigen, und sie entwickelte Methoden zur Vergabe von Sekundär-Krediten, vor allem im Bausektor und bei KMU’s. Sie begann, die Börse für die Umwandlung von Staatsbetrieben in private Unternehmen zu nutzen, oder sie wenigstens zu refinanzieren. Und sie errichtete die Asset Management Corporation, um die Kreditwürdigkeit eigentlich bereits bankrotter Unternehmen wiederherzustellen.
Auf diese Weise ist die Regierung zum Hauptfaktor bei der Verteilung von Krediten geworden. Sie stimuliert aber auch den Konsum, um einen Markt für die im Inland tätigen Unternehmen zu schaffen.
Sie beabsichtigt, die kapitalistische Wirtschaft im Inland auszubauen und zu vertiefen. Der dahinterstehende Gedanke ist leicht nachvollziehbar: viele Menschen stehen noch mit einem Bein in der Selbstversorgungswirtschaft. Wenn es gelingt, sie stärker in kapitalistische Wirtschaftsstrukturen einzubinden, wächst die Wirtschaft stärker, und gleichzeitig wird auch die Armut zurückgedrängt. Die sogenannten ‚populistischen’ Maßnahmen der Regierung Thaksin können leicht als Kopie des lateinamerikanischen Wohlfahrtspopulismus missverstanden werden. Das trifft - mit Ausnahme des 30-Baht Schemas - aber nicht zu. Die meisten Maßnahmen Thaksins zielen eindeutig auf die Stimulierung von Unternehmensgründungen, indem sie den Zugang zu Kapital erleichtert. Thaksin erklärte es so: “Kapitalismus braucht Kapital, ohne Kapital kein Kapitalismus. Wir müssen Kapital in die ländlichen Gegenden pumpen.“ Und sein Berater Phansak Vinyaratn verkündete: “Zum ersten Mal in der modernen Geschichte Thailands haben wir das Kapital näher zum Volk gebracht.“
Dieselbe Logik wird auch bezüglich mancher Teile der illegalen Wirtschaft und der Schattenwirtschaft angewandt: die Regierung möchte sie legalisieren und in die offizielle Wirtschaft integrieren.
Nun kommen wir zum sozio-politischen Teil. Hier meine These in kurzen Worten: Das Big Business hat sich des Staates nicht nur deswegen bemächtigt, um mit äußeren Bedrohungen besser fertig zu werden, sondern auch, um die inneren Gefahren zu bewältigen. Dieser zweite Aspekt ist mindestens ebenso wichtig, wird aber viel weniger verstanden.
Nach dem Ende des kalten Krieges und dem Zusammenbruch der Militärregierung in Thailand entstand plötzlich ein großer politischer Freiraum für Proteste, die Entwicklung der Zivilgesellschaft, NGO’s, öffentliche Auftritte von Intellektuellen etc. Immer mehr Menschen suchten nach neuen Wegen zur Neuverteilung von Macht und Reichtum.
Dieses Aufbegehren stellte in mancher Hinsicht eine Gefahr für die Interessen der Großunternehmen dar. In ihrer unmittelbarsten Form bedrohte es ihre Verfügungsgewalt über die natürlichen Ressourcen für die Landentwicklung, Energieproduktion, Abfallentsorgung und viele andere Zwecke. Ende der Neunziger war fast jedes große Projekt durch Protestaktionen bekämpft und blockiert worden.
Die zweite Gefahr war etwas subtiler. Die neue Zivilgesellschaft wandte sich Ideologien zu, die auf eine Reduzierung der Zentralgewalt des Staates abzielten. Diese Ideologien waren eine Reaktion auf die Zeit der Militärregierung, die diesen zentralisierten Staat, das Top-Down und die diktatorischen Verhältnisse praktisch unverändert an die neuen Parlamentarier übergeben hatte. Diese Protest-Ideologien reichten von einem klassischen Liberalismus, der einfach mehr Transparenz der Staatsmacht, Gesetzeskonformität und bessere Kontrollmechanismen forderte, bis zu eher anarchistischen Ideen, die den Zentralstaat abbauen und die Macht an die lokalen Kommunen zurückgeben wollten.
Diese liberalen und anarchistischen Strömungen standen logischerweise in Widerspruch zueinander. Dennoch konnten sie in vielen Kampagnen der Neunzigerjahre miteinander kooperieren und gemeinsam als Opposition zur zentralen Staatsmacht auftreten. Einige der wichtigsten politischen Dokumente wurden in diesem Geist verfaßt, darunter auch viele Teile der neuen Verfassung von 1997, der achte Entwicklungsplan, das Gesetz über die Dezentralisierung und die Vorschläge zur Bildungsreform.
Just zu dem Zeitpunkt, als die Großunternehmen den Staat übernehmen und den Kapitalismus aufpäppeln wollten, peilten zivilgesellschaftliche Bewegungen den Ab- beziehungsweise Umbau dieses Staates an, um ihn besser an andere Interessen anzupassen.
Erschwerend kam hinzu, daß beide Bewegungen, die Protestaktionen zur Behinderung von Großprojekten und die ideologischen Kampagnen gegen einen starken Staat, miteinander verflochten waren. Die Ideologen benutzten die Proteste zur Verfolgung ihrer Ziele, und die Protestanten beriefen sich auf die Ideologen, um ihre Protestaktionen in einen größeren politischen Kontext zu stellen. Ein weiterer Vorteil für sie war, daß diese Achse der Opposition nun von der Globalisierung zu profitieren begann, deren Früchte zuvor hauptsächlich dem Großkapital und der Mittelklasse zugefallen waren. Ähnliche Gegenbewegungen und ideologische Strömungen begannen sich international zu vernetzen, was schließlich zu Ereignissen wie dem Weltsozialforum und der Belagerung von Seattle führte.
Seit 2001 hat Thaksin viel von dem politischen Freiraum, der sich im Vierteljahrhundert davor entwickelt hatte, wieder geschlossen, und zwar auf dramatische Art und Weise. Die Regierung hat dafür folgende Vorgangsweisen gewählt.
Erstens: die Regierung versuchte, den Protestaktionen den Wind aus den Segeln zu nehmen, indem sie in einer Art ‚neuem Sozialabkommen’ ein bisschen mehr Wohlfahrt durch Village-Funds oder diverse Care-Systeme einführte.
Zweitens griff die Regierung auf gewaltsame Mittel zurück, wenn der erste Ansatz keine Wirkung zeigte. Die Pak Moon-Damm Geschichte paßt wunderbar in dieses Bild. Thaksin persönlich besuchte die Protestgruppen und bot ihnen Geld an. Als sie das zurückwiesen, erklärte er den Fall einfach für abgeschlossen, obwohl die von der Regierung selbst finanzierten Studien noch gar nicht abgeschlossen waren, und ließ daraufhin die Camps der Demonstranten einfach auseinandernehmen.
Die Regierung hat zudem einige Gesetze zur Eindämmung der Proteste erlassen. Zum Teil rehabilitierte sie sogar das Militär, um es als Verbündeter und Hilfsmittel gegen Demonstranten einsetzen zu können. Und sie tritt gegenüber den NGO’s sehr aggressiv auf.
Drittens hat sie die Medien durch eine Mixtur aus gesetzlichen Maßnahmen, Verordnungen, Einschüchterungen und Geldmitteln gezähmt. Die Medien sind heute möglicherweise zahmer als je zuvor, mit Ausnahme der Zeit unmittelbar nach dem Massaker von 1976.
Viertens: sie startete Kampagnen für soziale Ordnung und Disziplin. Einige von ihnen sind unwichtig, wenig mehr als Beruhigungsaktionen für Mittelklasse-Eltern, die ihre Kinder, speziell ihr sexuelles Verhalten, nicht unter Kontrolle halten können. Aber hinter all diesen Kreuzzügen steht die Idee, der Staat habe sowohl die Aufgabe als auch die Macht, die ‚Lebenswelt’, wie es der deutsche Soziologe Jürgen Habermas nennen würde, zu disziplinieren. Diese Aktionen werden unter der Bezeichnung ‚soziale Ordnung’ (social order) zusammengefaßt. Dieser englische Ausdruck entspricht in Thai ‚rabiap sangkhom’, eine Bezeichnung, die in dieser Sprache viel mehr nach Anpassung und Ordentlichkeit klingt als im Englischen. Einige Monate lang lief im Fernsehen eine Einschaltung des Kulturministeriums, der einen schlimmen Jungen zeigte, wie er seinen Rücken nicht zur traditionellen gebeugten Haltung der Ehrerbietung krümmen wollte. Der ‚War on Drugs’ von 2003 verfolgte verschiedene Ziele, aber eines seiner Resultate war die Einschüchterung aller von der sozialen Norm abweichenden Bürger.
Und fünftens: die Regierung propagiert Nationalismus. Es ist nicht der Nationalismus der Kolonialzeit oder des Kalten Krieges. Vielmehr ist er wirtschaftlicher Natur. Die Denkweise wird in Liah Greenfelds Buch ‚The Spirit of Capitalism’ (Der Geist des Kapitalismus) erklärt, ein Werk, das Thaksin und seine Berater wiederholt öffentlich zitiert haben. Die Hauptaussage des Buches ist, daß Gesellschaften auf ihrem Weg in eine ‚große Zukunft’ den wirtschaftlichen Take-off schon in ein oder zwei Generationen schaffen können, wenn sie die Priorität auf Wachstum legen. Die zweitwichtigste Aussage aber ist, daß Gesellschaften, die zwar diesen Weg beschreiten, sich dann aber von anderen Zielen wie Demokratie, Gerechtigkeit, Lebensqualität oder Gleichheit ablenken lassen, an den Rand gedrängt werden.
Ende vergangenen Jahres sagte Thaksin: “Demokratie ist gut und schön, aber sie ist nicht das ultimative Ziel, soweit es die Staatsadministration betrifft. Demokratie ist nur ein Mittel zum Zweck, nicht unser Ziel. Unser Ziel ist es, den Menschen einen guten Lebensstil, Glück und nationalen Fortschritt zu bringen.“
Zusammengefaßt: Ich sehe Thaksin als Chef eines Big Business-Projekts zur Übernahme des Staates mit dem Ziel, Grossunternehmen vor äußeren und inneren Bedrohungen zu schützen und gleichzeitig einen ‚großen Sprung vorwärts’ in Richtung Weiterentwicklung des Kapitalismus zu machen. Thaksin und seine Verbündeten wollen den Staat aktiver managen, und sie benutzen die Instrumente des Staates dazu, seine Ressourcen zu mobilisieren und den Kapitalismus auszubauen. Sie wollen selbst die Gesellschaft anführen, um alternative Vorstellungen unterdrücken zu können, die diesen ‚großen Sprung vorwärts’ gefährden könnten, speziell solche, die Gerechtigkeit, Demokratie oder Gleichheit höher einstufen als Wachstum. Thailand wendet offensichtlich die gleiche entwicklungsorientierte Politik an wie frühere asiatische NIC’s (Newly Industrialized Countries = Länder auf dem Weg zur Industrienation), allerdings mit einigen Neuerungen, weil sich die Welt in den letzten Jahrzehnten gewandelt hat.
Wenn ein Land zu einem Unternehmen wird und eine Regierung zum Management, dann sind die Menschen keine Bürger mit Rechten, Freiheiten und Hoffnungen mehr, sondern sie werden zu Konsumenten und Produktionsfaktoren. (wbp)
Ein Staat ist ein Unternehmen
Anfang April hielt Pasuk Phongpaichit, eine angesehene Wirtschaftsprofessorin an der Chulalongkorn Universität, anlässlich eines Seminars zum Thema ‚Staatsmann oder Manager’ einen Vortrag, den die Bangkok Post vor kurzem in voller Länge veröffentlichte. Sie präsentiert darin einige interessante Antworten auf die Fragen, warum Großunternehmer wie Thaksin in die thailändische Politik eingegriffen haben und welche Ziele sie damit verfolgen. Wir haben die wichtigsten Passagen daraus frei übersetzt:
“Ein Unternehmen ist ein Staat. Ein Staat ist ein Unternehmen. Sie sind ein und dasselbe, das Management ist dasselbe.“ Thaksin, im November 1997.
Thaksins fulminanter Wahlsieg 2001 darf nicht nur als sein ganz persönlicher Triumph gesehen werden. Es war in Wahrheit der triumphale Einzug des ‚Big Business’ in die thailändische Politik.
Thaksin ist nicht der einzige große Geschäftsmann in dieser Regierung oder in ihrem Nahbereich. Sowohl die Regierungsmannschaft als auch die TRT-Partei besteht zum beträchtlichen Teil aus Angehörigen jener Big Business-Familien, die es irgendwie geschafft haben, die große Krise von 1997 einigermaßen unbeschadet zu überstehen. Das Big Business hat unseren Staat übernommen. Wie ist das vor sich gegangen?
Zuallererst muß man verstehen, daß das nichts grundsätzlich Neues ist. Bereits zu Zeiten der Militärdiktatur waren die Großunternehmer politisch eng mit den Machthabern verbunden. Danach spielten einige von ihnen bei der Entwicklung der Demokratie eine bedeutende Rolle. Sie traten aber später in den Hintergrund, weil sie während der letzten beiden Jahrzehnte keine Ursache mehr sahen, eine politische Rolle zu übernehmen, und das aus einem doppelten Grund.
Erstens schien die Globalisierung für sie in den Jahren vor 1997 eine großartige Sache zu sein. Die Großunternehmen waren diejenigen, die am meisten von ihr profitierten, mehr als andere Wirtschaftssektoren oder Bevölkerungsgruppen, weil sie ihnen verstärkten Zugang zu Technologien, Ideen, Ausbildung, Märkten und Finanzmitteln brachte. Großunternehmen brauchten den Staat nicht, um mit der Globalisierung zurechtzukommen.
Zweitens erledigte der Staat seine Aufgabe in ihren Augen recht gut, ohne ihnen dabei in die Quere zu kommen. Er baute die Infrastruktur aus, er hielt die Arbeitnehmer im Zaum, achtete darauf, daß die makroökonomischen Rahmenbedingungen stabil blieben, und mischte sich weiter nicht ein.
Dieser Zustand änderte sich aber in den neunziger Jahren, speziell im Krisenjahr 1997, in drei entscheidenden Punkten.
Erstens erwies sich das bestehende politische System als extrem unfähig, die Interessen der Großunternehmen zu schützen. Eigentlich stolperte diese Regierung wie ein Schlafwandler in diese Krise, die viele der größten Unternehmen des Landes in den Ruin trieb.
Zweitens war die Globalisierung, zuvor noch als guter Freund gesehen, plötzlich zum Feind in der Gestalt des IMF (internationalen Währungsfonds) und gieriger ausländischer Spekulanten geworden.
Und drittens begann die Gesellschaft, immer mehr Forderungen zu stellen. Die Neunziger waren eine Zeit der Proteste, der Entstehung neuer Organisationen und der Diskussionen über gesellschaftlichen Wandel.
Aufgrund dieser entscheidenden Entwicklungen beschlossen die Großunternehmer, wieder eine größere politische Rolle zu spielen. Dabei kamen ihnen zwei andere Entwicklungen sehr gelegen.
Zum einen wiesen einige Teile der neuen Verfassung von 1997 einen städtischen, zentralistischen Charakter auf, der sehr einladend für das Big Business war. Zum anderen ließ sich das allgemeine Chaos, das in einem ebenso allgemeinen Ruf nach Veränderungen mündete, mittels Wahlversprechen und Partei-Image sehr gut ausnutzen.
Lassen Sie mich nun zum Hauptteil meiner Ausführungen kommen: auf welche Weise und zu welchem Zweck will das Big Business den Staat benutzen? Ich werde diesen Teil in zwei Bereiche gliedern, im weitesten Sinn in einen wirtschaftlichen und einen sozio-politischen Bereich.
Zuerst zum wirtschaftlichen Aspekt: diese Regierung will eine Veränderung in Richtung eines ‚entwicklungsorientierten’ Staates, wie sie die politischen Führer der vorletzten Generation in anderen Teilen Asien bereits vorexerziert hat. Mit entwicklungsorientiert meine ich, daß der Staat eine aktivere Rolle einnimmt in Hinblick auf den Schutz und die Entwicklung des inländischen Kapitals, um damit ein höheres Wirtschaftswachstum zu erreichen.
Auch das ist eigentlich nichts Neues. Boonchu Rojanastien, der damalige Finanzminister und Bankier, hatte schon 1980 die ‚Thailand Inc.’ propagiert und verkündet: “Wir sollten das Land wie eine Firma führen.“ Dieser Vorstoß wurde damals von den Militärs abgeblockt aus Sorge, ein ungebändigter Kapitalismus könnte einen ebenso ungebändigten Kommunismus hervorrufen. (Seitdem der Weltkommunismus zusammengebrochen ist, ist diese Gefahr ja nicht mehr so groß. Anm. d. Red.). Wenn Thaksin jetzt von der ‚Thailand Co. Limited’ redet, wiederholt er fast wortwörtlich, was Boonchu damals gesagt hatte.
Wirtschaftswachstum ist der zentrale Punkt von Thaksins Regierungspolitik. Vorerst ging es primär darum, einen Weg aus der Krise zu finden. Als das gelang, wurde das Erreichen des OECD-Status und der Sprung in die Erste Welt als neues Ziel ausgerufen. Und dieses Ziel überstrahlt alle anderen.
Frühere entwicklungsorientierte Länder wie Japan, Südkorea oder Taiwan wollten den einheimischen Kapitalismus mittels dreier politischer Strategien ,zwangsentwickeln’: durch gelenkte Kreditvergabe, durch spezielle industriepolitische Maßnahmen, vor allem durch Schutz und Förderung bestimmter Sektoren und Unternehmen, und die Kontrolle über die Arbeitnehmerschaft.
Thailands modernisierte entwicklungsorientierte Politik sieht in einigen wichtigen Punkten etwas anders aus, weil sich inzwischen die Zeiten geändert haben und die thailändische Situation ihre eigene, ganz spezielle Charakteristik aufweist.
Ein wichtiger Unterschied zu damals liegt darin, daß Thailand schon seit Jahren kontinuierlich den Weg der Liberalisierung beschritten hat, zuerst des Handels und später auch der Finanzen. Würde man jetzt davon abgehen, könnte das sehr teuer kommen. Seit der Krise von 1997 sind fast alle größeren Unternehmen – vor allem die Exportunternehmen – in transnationale Firmen eingebunden. Thaksins Politik zielt nicht darauf ab, sie von dieser transnationalen Dominanz zu befreien. Sie trachtet eher danach, Thailand als Standort für Exporte, als Tourismusdestination und als Ziel für Auslandsinvestitionen zu propagieren und gleichzeitig die Position des Landes innerhalb der transnationalen Produktionsketten zu verbessern.
Aber parallel dazu versucht die Regierung sehr wohl, das Inlandskapital zu schützen und zu fördern, vorwiegend in Sektoren, die den Inlandskonsum betreffen, und dort vor allem im Dienstleistungsbereich. Diese Sektoren sich einigermaßen sicher vor ausländischer Konkurrenz, nicht so sehr durch Handelsbarrieren, sondern eher durch gesetzliche Vorschriften, wie zum Beispiel dem Verbot des Landbesitzes für Ausländer oder die Restriktion ausländischer Investitionen in Medien und Telekommunikationseinrichtungen.
Diese Bereiche sind genau jene, in denen die mit der Regierung verbundenen Familienunternehmen tätig sind.
Die Regierung bewegt sich immer mehr in Richtung Förderung von Klein- und Mittelunternehmen (KMU’s) und von Industrien, eine Politik, die man früher ‚Industrialisierungspolitik’ nannte, die sie selbst aber als ‚Verbesserung der Wettbewerbsfähigkeit’ bezeichnet - ein Ausdruck der Business Schools. Fünf strategische Zielbereiche für die Industrialisierung wurden öffentlich bekannt gegeben: Mode, Landwirtschaft, Autos, Informations- und Computertechnologie und Dienstleistungen, darunter Tourismus, Restaurants, Medizin und Logistik. Ein paar weitere werden eindeutig durch Vetternwirtschaft gefördert.
Zusätzlich ist die Regierung bestrebt, die Kreditvergabe zu bündeln, und zwar in einem noch nie gesehenen Ausmaß. Die Krise von 1997 bedeutete für viel Handelsbanken und private Kreditinstitute das Ende. Diejenigen, die überlebten, sind heute sehr zurückhaltend bei der Kreditvergabe. Große Teile der Bankvermögen gerieten damals unter Regierungskontrolle. Die regierungseigene Krung Thep Bank mutierte von einem schläfrigen Dinosaurier zum größten Kreditinstitut des Landes. Daneben mobilisierte die Regierung andere dahinvegetierende staatseigene Banken und Finanzinstitutionen, erweiterte ihren Aufgabenbereich und wies sie an, Kredite zu vergeben. Sie versuchte auch, brachliegendes Kapital von den verbliebenen Handelsbanken abzuzweigen, und sie entwickelte Methoden zur Vergabe von Sekundär-Krediten, vor allem im Bausektor und bei KMU’s. Sie begann, die Börse für die Umwandlung von Staatsbetrieben in private Unternehmen zu nutzen, oder sie wenigstens zu refinanzieren. Und sie errichtete die Asset Management Corporation, um die Kreditwürdigkeit eigentlich bereits bankrotter Unternehmen wiederherzustellen.
Auf diese Weise ist die Regierung zum Hauptfaktor bei der Verteilung von Krediten geworden. Sie stimuliert aber auch den Konsum, um einen Markt für die im Inland tätigen Unternehmen zu schaffen.
Sie beabsichtigt, die kapitalistische Wirtschaft im Inland auszubauen und zu vertiefen. Der dahinterstehende Gedanke ist leicht nachvollziehbar: viele Menschen stehen noch mit einem Bein in der Selbstversorgungswirtschaft. Wenn es gelingt, sie stärker in kapitalistische Wirtschaftsstrukturen einzubinden, wächst die Wirtschaft stärker, und gleichzeitig wird auch die Armut zurückgedrängt. Die sogenannten ‚populistischen’ Maßnahmen der Regierung Thaksin können leicht als Kopie des lateinamerikanischen Wohlfahrtspopulismus missverstanden werden. Das trifft - mit Ausnahme des 30-Baht Schemas - aber nicht zu. Die meisten Maßnahmen Thaksins zielen eindeutig auf die Stimulierung von Unternehmensgründungen, indem sie den Zugang zu Kapital erleichtert. Thaksin erklärte es so: “Kapitalismus braucht Kapital, ohne Kapital kein Kapitalismus. Wir müssen Kapital in die ländlichen Gegenden pumpen.“ Und sein Berater Phansak Vinyaratn verkündete: “Zum ersten Mal in der modernen Geschichte Thailands haben wir das Kapital näher zum Volk gebracht.“
Dieselbe Logik wird auch bezüglich mancher Teile der illegalen Wirtschaft und der Schattenwirtschaft angewandt: die Regierung möchte sie legalisieren und in die offizielle Wirtschaft integrieren.
Nun kommen wir zum sozio-politischen Teil. Hier meine These in kurzen Worten: Das Big Business hat sich des Staates nicht nur deswegen bemächtigt, um mit äußeren Bedrohungen besser fertig zu werden, sondern auch, um die inneren Gefahren zu bewältigen. Dieser zweite Aspekt ist mindestens ebenso wichtig, wird aber viel weniger verstanden.
Nach dem Ende des kalten Krieges und dem Zusammenbruch der Militärregierung in Thailand entstand plötzlich ein großer politischer Freiraum für Proteste, die Entwicklung der Zivilgesellschaft, NGO’s, öffentliche Auftritte von Intellektuellen etc. Immer mehr Menschen suchten nach neuen Wegen zur Neuverteilung von Macht und Reichtum.
Dieses Aufbegehren stellte in mancher Hinsicht eine Gefahr für die Interessen der Großunternehmen dar. In ihrer unmittelbarsten Form bedrohte es ihre Verfügungsgewalt über die natürlichen Ressourcen für die Landentwicklung, Energieproduktion, Abfallentsorgung und viele andere Zwecke. Ende der Neunziger war fast jedes große Projekt durch Protestaktionen bekämpft und blockiert worden.
Die zweite Gefahr war etwas subtiler. Die neue Zivilgesellschaft wandte sich Ideologien zu, die auf eine Reduzierung der Zentralgewalt des Staates abzielten. Diese Ideologien waren eine Reaktion auf die Zeit der Militärregierung, die diesen zentralisierten Staat, das Top-Down und die diktatorischen Verhältnisse praktisch unverändert an die neuen Parlamentarier übergeben hatte. Diese Protest-Ideologien reichten von einem klassischen Liberalismus, der einfach mehr Transparenz der Staatsmacht, Gesetzeskonformität und bessere Kontrollmechanismen forderte, bis zu eher anarchistischen Ideen, die den Zentralstaat abbauen und die Macht an die lokalen Kommunen zurückgeben wollten.
Diese liberalen und anarchistischen Strömungen standen logischerweise in Widerspruch zueinander. Dennoch konnten sie in vielen Kampagnen der Neunzigerjahre miteinander kooperieren und gemeinsam als Opposition zur zentralen Staatsmacht auftreten. Einige der wichtigsten politischen Dokumente wurden in diesem Geist verfaßt, darunter auch viele Teile der neuen Verfassung von 1997, der achte Entwicklungsplan, das Gesetz über die Dezentralisierung und die Vorschläge zur Bildungsreform.
Just zu dem Zeitpunkt, als die Großunternehmen den Staat übernehmen und den Kapitalismus aufpäppeln wollten, peilten zivilgesellschaftliche Bewegungen den Ab- beziehungsweise Umbau dieses Staates an, um ihn besser an andere Interessen anzupassen.
Erschwerend kam hinzu, daß beide Bewegungen, die Protestaktionen zur Behinderung von Großprojekten und die ideologischen Kampagnen gegen einen starken Staat, miteinander verflochten waren. Die Ideologen benutzten die Proteste zur Verfolgung ihrer Ziele, und die Protestanten beriefen sich auf die Ideologen, um ihre Protestaktionen in einen größeren politischen Kontext zu stellen. Ein weiterer Vorteil für sie war, daß diese Achse der Opposition nun von der Globalisierung zu profitieren begann, deren Früchte zuvor hauptsächlich dem Großkapital und der Mittelklasse zugefallen waren. Ähnliche Gegenbewegungen und ideologische Strömungen begannen sich international zu vernetzen, was schließlich zu Ereignissen wie dem Weltsozialforum und der Belagerung von Seattle führte.
Seit 2001 hat Thaksin viel von dem politischen Freiraum, der sich im Vierteljahrhundert davor entwickelt hatte, wieder geschlossen, und zwar auf dramatische Art und Weise. Die Regierung hat dafür folgende Vorgangsweisen gewählt.
Erstens: die Regierung versuchte, den Protestaktionen den Wind aus den Segeln zu nehmen, indem sie in einer Art ‚neuem Sozialabkommen’ ein bisschen mehr Wohlfahrt durch Village-Funds oder diverse Care-Systeme einführte.
Zweitens griff die Regierung auf gewaltsame Mittel zurück, wenn der erste Ansatz keine Wirkung zeigte. Die Pak Moon-Damm Geschichte paßt wunderbar in dieses Bild. Thaksin persönlich besuchte die Protestgruppen und bot ihnen Geld an. Als sie das zurückwiesen, erklärte er den Fall einfach für abgeschlossen, obwohl die von der Regierung selbst finanzierten Studien noch gar nicht abgeschlossen waren, und ließ daraufhin die Camps der Demonstranten einfach auseinandernehmen.
Die Regierung hat zudem einige Gesetze zur Eindämmung der Proteste erlassen. Zum Teil rehabilitierte sie sogar das Militär, um es als Verbündeter und Hilfsmittel gegen Demonstranten einsetzen zu können. Und sie tritt gegenüber den NGO’s sehr aggressiv auf.
Drittens hat sie die Medien durch eine Mixtur aus gesetzlichen Maßnahmen, Verordnungen, Einschüchterungen und Geldmitteln gezähmt. Die Medien sind heute möglicherweise zahmer als je zuvor, mit Ausnahme der Zeit unmittelbar nach dem Massaker von 1976.
Viertens: sie startete Kampagnen für soziale Ordnung und Disziplin. Einige von ihnen sind unwichtig, wenig mehr als Beruhigungsaktionen für Mittelklasse-Eltern, die ihre Kinder, speziell ihr sexuelles Verhalten, nicht unter Kontrolle halten können. Aber hinter all diesen Kreuzzügen steht die Idee, der Staat habe sowohl die Aufgabe als auch die Macht, die ‚Lebenswelt’, wie es der deutsche Soziologe Jürgen Habermas nennen würde, zu disziplinieren. Diese Aktionen werden unter der Bezeichnung ‚soziale Ordnung’ (social order) zusammengefaßt. Dieser englische Ausdruck entspricht in Thai ‚rabiap sangkhom’, eine Bezeichnung, die in dieser Sprache viel mehr nach Anpassung und Ordentlichkeit klingt als im Englischen. Einige Monate lang lief im Fernsehen eine Einschaltung des Kulturministeriums, der einen schlimmen Jungen zeigte, wie er seinen Rücken nicht zur traditionellen gebeugten Haltung der Ehrerbietung krümmen wollte. Der ‚War on Drugs’ von 2003 verfolgte verschiedene Ziele, aber eines seiner Resultate war die Einschüchterung aller von der sozialen Norm abweichenden Bürger.
Und fünftens: die Regierung propagiert Nationalismus. Es ist nicht der Nationalismus der Kolonialzeit oder des Kalten Krieges. Vielmehr ist er wirtschaftlicher Natur. Die Denkweise wird in Liah Greenfelds Buch ‚The Spirit of Capitalism’ (Der Geist des Kapitalismus) erklärt, ein Werk, das Thaksin und seine Berater wiederholt öffentlich zitiert haben. Die Hauptaussage des Buches ist, daß Gesellschaften auf ihrem Weg in eine ‚große Zukunft’ den wirtschaftlichen Take-off schon in ein oder zwei Generationen schaffen können, wenn sie die Priorität auf Wachstum legen. Die zweitwichtigste Aussage aber ist, daß Gesellschaften, die zwar diesen Weg beschreiten, sich dann aber von anderen Zielen wie Demokratie, Gerechtigkeit, Lebensqualität oder Gleichheit ablenken lassen, an den Rand gedrängt werden.
Ende vergangenen Jahres sagte Thaksin: “Demokratie ist gut und schön, aber sie ist nicht das ultimative Ziel, soweit es die Staatsadministration betrifft. Demokratie ist nur ein Mittel zum Zweck, nicht unser Ziel. Unser Ziel ist es, den Menschen einen guten Lebensstil, Glück und nationalen Fortschritt zu bringen.“
Zusammengefaßt: Ich sehe Thaksin als Chef eines Big Business-Projekts zur Übernahme des Staates mit dem Ziel, Grossunternehmen vor äußeren und inneren Bedrohungen zu schützen und gleichzeitig einen ‚großen Sprung vorwärts’ in Richtung Weiterentwicklung des Kapitalismus zu machen. Thaksin und seine Verbündeten wollen den Staat aktiver managen, und sie benutzen die Instrumente des Staates dazu, seine Ressourcen zu mobilisieren und den Kapitalismus auszubauen. Sie wollen selbst die Gesellschaft anführen, um alternative Vorstellungen unterdrücken zu können, die diesen ‚großen Sprung vorwärts’ gefährden könnten, speziell solche, die Gerechtigkeit, Demokratie oder Gleichheit höher einstufen als Wachstum. Thailand wendet offensichtlich die gleiche entwicklungsorientierte Politik an wie frühere asiatische NIC’s (Newly Industrialized Countries = Länder auf dem Weg zur Industrienation), allerdings mit einigen Neuerungen, weil sich die Welt in den letzten Jahrzehnten gewandelt hat.
Wenn ein Land zu einem Unternehmen wird und eine Regierung zum Management, dann sind die Menschen keine Bürger mit Rechten, Freiheiten und Hoffnungen mehr, sondern sie werden zu Konsumenten und Produktionsfaktoren. (wbp)