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Quelle: Sueddeutsche Zeitung
Touristen treibt eine fatale Sehnsucht, sich in Landestracht zu werfen - von Rebecca Casati
Seit meiner ersten Thailand-Reise habe ich sie immer im Gepäck: Sarongs, Sarongs und nochmal: Sarongs. Die Baumwollstoffe passen sich optimal dem feucht-warmen Klima an; man schwitzt nicht so stark. Es gibt die Sarong-Stoffe in den tollsten Farben, für alle möglichen Gelegenheiten (und für wenig Geld) auf jedem Wochenmarkt zu kaufen. Mit einem T-Shirt kombiniert sehen sie cool aus, sie sind bequem zu tragen und kulturell gesehen sogar viel korrekter als lange Hosen!
So also schwärmt eine Mandy auf ihrer Internet-Webpage über das korrekte Reisen. Mandy gibt als Heimatort Australien an, und sie war zweifellos schon häufiger in Asien, mehrmals in Thailand. Sie hat einiges an Reiseliteratur studiert, stets auch den den Kontakt zu Einheimischen gesucht, wie es sich für eine gute Travellerin gehört. Und doch ist ein Detail ihrer Aufmerks amkeit entgangen. Der Sarong, auch Pareau, Lunghi oder Pakome genannt, ist nicht, was er zu sein scheint.
Wenn man, sagen wir, in Bangkok beim Schaufensterbummel in der feinen, überklimatisierten Einkaufspassage Emporium einen Sarong zu seinen Trekking-Sandalen trägt, wirkt man in den Augen der Thais, in ihren Hosen und Röcken, nicht cool und auch nicht kulturell korrekt.
Wie würde eine Dame auf uns wirken, die im Berliner Kaufhaus Quartier 206 mit grob gestrickten Strümpfen und in unbehandelten Holzpantinen schwitzend an uns vorbeipoltert? Eben. Die Thais denken über die Frau im Sarong genau dasselbe. Die ihnen eigene Höflichkeit aber gebietet es den Thais, einen andere Tonart zu wählen: Rückständig würden sie sagen, wenn man sie ausdrücklich fragte.
Das Augenmerk richtet sich nun auf der Landkarte nach oben, dann nach links wir sind in Ghana, an der Westküste Afrikas. Beobachten wir zwei typische Reisende, Gerd und Gitta, die an
einer staubigen Geschäftsstraße soeben einem Schneider bedeuten, was er bitte aus den bunten, handgewobenen Stoffen für sie anfertigen möge. Sie haben es auf Postkarten gesehen und bei einer feierlichen Straßenprozession: ein Gewand aus Stoffbahnen, die einmal um den Körper geschlungen werden und deren Ende dann über die linke Schulter geschlagen wird. Ganz einfach, eigentlich so, sagt Gerd und macht mehrmals eine schleudernde Handbewegung, so!
Der Schneider nickt mit unbewegter Miene. Er weiß, was der Gerd meint.
Am nächsten Tag kann das Pärchen, in zweifacher Ausführung und für ein paar wenige ghanaische Cedi, das abholen, was ihren Aufenthalt noch authentischer machen soll: eben diese beiden Gewänder, Kente genannt. Die Kente, die in den Augen der Touristen so einfach aussieht, ist aber nicht nur ein Gewand für festliche Anlässe; sie ist auch die traditionelle Tracht der Könige. In diesem Gewand am Straßenrand einen weißen Touristen zu sehen, der sich, vielleicht gerade nach dem Verzehr eines Bohnengerichts, mehr oder minder verstohlen die Finger an seiner Kente abwischt das ist für einige Bevölkerungsgruppen in Ghana nicht nur ungehörig, sondern auch eine schlimme Demütigung.
Das kann man Reisenden wie unserem Pärchen nun eigentlich gar nicht anlasten; denn eine Information wie diese steht in kaum einem Reiseführer. Die Grenze, die sie damit überqueren, ist eine unsichtbare, eine ideelle. Niemand weist darauf hin. Letztlich ist man in Ghana oder Thailand auch auf begeisterte Fernreisende angewiesen. So schweigt der Einheimische. Und nimmt den stilistischen, politischen oder religiösen Grenzübertritt in Kauf. Der Fernreisende will ja riechen, hören und am eigenen Körper spüren, wie weit er gekommen ist. Er will diese fremde und seltsame Welt bewundern, zunächst jedenfalls.
Dann, so ist der Mensch, will er einen Teil dieser Fremde haben, oder wie er sagen würde: ein Teil von ihr werden , sich assimilieren, offene Weltanschauung, Respekt und guten Willen demonstrieren. Dann ist er angekommen und weiß später: Er war weg. Was an Gepflogenheiten, Waren und Leistungen so einfach und so preiswert zu haben ist in der Fremde das kann doch im besten Sinne nur authentisch sein.
Authentizität oder Ursprünglichkeit, das ist die erhabenste Tugend, die so ein Traveller in der Ferne vorfinden kann. Und gleichzeitig das größte Kompliment, das er zu vergeben hat. Authentisch, das heißt in diesem Zusammenhang anders, und in der Fremde hat es anders zu sein und auszusehen als zu Hause. Und da sind wir beim Kern der Sache.Vieles davon nämlich ist nicht mehr als eine Projektion. Die Irrtümer lauten: Wenn ein Thailänder Sarongs feilbietet, ist es in Thailand gesellschaftlich verbreitet und anerkannt, sie zu tragen. Was ein einheimischer Schneider widerspruchslos schneidert, ist richtig und gut. Doch: Genauso wird man auf sieben von zehn amerikanischen Reiseführer über Deutschland ein Bild finden, auf dem rotgesichtige Männer in Tracht Bierkrüge schwenken, denn: So sind die Deutschen, no?
Manch einer ist aus solchen Irrglauben heraus mit einem Sortiment an Lederhosen in seine Heimat zurückgekehrt was solls: Auch der war also weg. Weitere Projektionen eines Travellers: Wenn die Straßen staubig sind, kannst du es ruhig auch sein. Wenn die Menschen Bärte tragen, brauchst du dich auch nicht mehr zu rasieren. Da, dieser Lendenschurz, den dieser indische Mönch dort trägt, ist er nicht ursprünglich? Schlüpfe einfach auch mal rein, und weil er so bequem ist bleib einfach für die gesamte Dauer deines Aufenthaltes in diesem Schurz! Die Einheimischen werden sich freuen, sind ja schließlich ihre Sitten.
Sicherlich weiß Gerd, wenn er nach Indien reist, dass es sich bei dem Lendenschurz, den hier die Armen und die Mönche tragen, um eine Referenz an Mahatma Ghandi handelt. Der trug so einen Lendenschurz, genannt Dhoti , und in diesem stellt er in Indien das Sinnbild tiefer Verehrung dar, und das nicht nur wegen seiner politischen Aussage, sondern auch, weil Ghandi, mit nichts als diesem selbst gesponnen Tuch bekleidet, Demut und Genügsamkeit vorlebte. Aber gelten nicht, fragt da der Traveller Gerd, der Hinduismus und der Buddhismus sowieso als die besten, friedlichsten, freiesten Religionen von allen? Natürlich, zumal wenn sie so angenehm und luftig auf der Haut zu tragen sind. Reisen wir also mit Gerd und Gitta noch etwas weiter, von Indien wieder ein gutes Stück nach Osten. Wir sind in Japan. Im Land der Geishas und der Kimonos.
Kimonos werden, und darüber freuen sich Gerd und Gitta, praktischerweise von Frauen wie von Männern getragen. Über der Taille hält sie ein kostbarer breiter Stoffgürtel zusammen, der Obi genannt, geschrieben und ausgesprochen wird, genau wie der Baumarkt, Gerd!
Natürlich kann man in Japan in vielen Geschäften Kimonos und Obis kaufen. Heute ist der Kimono ein Festgewand. Allerdings: Die Bindung des Gürtels ist kompliziert und wird in Schulen gelehrt; ursprünglich zeigte sie sogar die soziale Stellung und Situation des Trägers an. Das kann von ledig und heiratswillig bis Liebesdienerin so einiges sein.
Und wenn Gittas Taille durch die Bindung noch so vorteilhaft wirkt: Unsere Japan-Reisende werden in einem willkürlich zusammenschnürten Kimono für Heiterkeitsausbrüche, Herablassung, zumindest für hochgezogene Augenbrauen bei den Einheimischen sorgen. Mitbekommen werden sie davon wahrscheinlich gar nichts.
Wenn sie wieder nach Hause fahren, wissen sie mehr: Japan ist kulturell reich,maßlos überteuert, aber zauberhaft. Der Umgangston total höflich, sehr angenehm. Und endlich weiß man, wie authentische, japanische Küche schmeckt, die Japaner in Deutschland sind, wie man jetzt auch weiß, bereits total assimiliert. Je nachdem halt bayerische oder rheinische Japaner.
Und noch eine Erkenntnis kommt erst zu Hause: die Sarongs, Kentes und Kimonos, die in der Ferne noch so reizend mit dem Blau des Meeres und den Früchten des Wochenmarktes harmonierten bei einem Picknick am Tegernsee wirken sie deplatziert. Wie war euer Urlaub, wird es auf diesem Picknick heißen, wie sind die Menschen?
Bei den Asiaten, wird Gitta erzählen und versonnen in ihre Brezen beißen, weiß man einfach nie genau, was sie denken. Sie lächeln immer.
[hr:4517967615]
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Quelle: Sueddeutsche Zeitung
Touristen treibt eine fatale Sehnsucht, sich in Landestracht zu werfen - von Rebecca Casati
Seit meiner ersten Thailand-Reise habe ich sie immer im Gepäck: Sarongs, Sarongs und nochmal: Sarongs. Die Baumwollstoffe passen sich optimal dem feucht-warmen Klima an; man schwitzt nicht so stark. Es gibt die Sarong-Stoffe in den tollsten Farben, für alle möglichen Gelegenheiten (und für wenig Geld) auf jedem Wochenmarkt zu kaufen. Mit einem T-Shirt kombiniert sehen sie cool aus, sie sind bequem zu tragen und kulturell gesehen sogar viel korrekter als lange Hosen!
So also schwärmt eine Mandy auf ihrer Internet-Webpage über das korrekte Reisen. Mandy gibt als Heimatort Australien an, und sie war zweifellos schon häufiger in Asien, mehrmals in Thailand. Sie hat einiges an Reiseliteratur studiert, stets auch den den Kontakt zu Einheimischen gesucht, wie es sich für eine gute Travellerin gehört. Und doch ist ein Detail ihrer Aufmerks amkeit entgangen. Der Sarong, auch Pareau, Lunghi oder Pakome genannt, ist nicht, was er zu sein scheint.
Wenn man, sagen wir, in Bangkok beim Schaufensterbummel in der feinen, überklimatisierten Einkaufspassage Emporium einen Sarong zu seinen Trekking-Sandalen trägt, wirkt man in den Augen der Thais, in ihren Hosen und Röcken, nicht cool und auch nicht kulturell korrekt.
Wie würde eine Dame auf uns wirken, die im Berliner Kaufhaus Quartier 206 mit grob gestrickten Strümpfen und in unbehandelten Holzpantinen schwitzend an uns vorbeipoltert? Eben. Die Thais denken über die Frau im Sarong genau dasselbe. Die ihnen eigene Höflichkeit aber gebietet es den Thais, einen andere Tonart zu wählen: Rückständig würden sie sagen, wenn man sie ausdrücklich fragte.
Das Augenmerk richtet sich nun auf der Landkarte nach oben, dann nach links wir sind in Ghana, an der Westküste Afrikas. Beobachten wir zwei typische Reisende, Gerd und Gitta, die an
einer staubigen Geschäftsstraße soeben einem Schneider bedeuten, was er bitte aus den bunten, handgewobenen Stoffen für sie anfertigen möge. Sie haben es auf Postkarten gesehen und bei einer feierlichen Straßenprozession: ein Gewand aus Stoffbahnen, die einmal um den Körper geschlungen werden und deren Ende dann über die linke Schulter geschlagen wird. Ganz einfach, eigentlich so, sagt Gerd und macht mehrmals eine schleudernde Handbewegung, so!
Der Schneider nickt mit unbewegter Miene. Er weiß, was der Gerd meint.
Am nächsten Tag kann das Pärchen, in zweifacher Ausführung und für ein paar wenige ghanaische Cedi, das abholen, was ihren Aufenthalt noch authentischer machen soll: eben diese beiden Gewänder, Kente genannt. Die Kente, die in den Augen der Touristen so einfach aussieht, ist aber nicht nur ein Gewand für festliche Anlässe; sie ist auch die traditionelle Tracht der Könige. In diesem Gewand am Straßenrand einen weißen Touristen zu sehen, der sich, vielleicht gerade nach dem Verzehr eines Bohnengerichts, mehr oder minder verstohlen die Finger an seiner Kente abwischt das ist für einige Bevölkerungsgruppen in Ghana nicht nur ungehörig, sondern auch eine schlimme Demütigung.
Das kann man Reisenden wie unserem Pärchen nun eigentlich gar nicht anlasten; denn eine Information wie diese steht in kaum einem Reiseführer. Die Grenze, die sie damit überqueren, ist eine unsichtbare, eine ideelle. Niemand weist darauf hin. Letztlich ist man in Ghana oder Thailand auch auf begeisterte Fernreisende angewiesen. So schweigt der Einheimische. Und nimmt den stilistischen, politischen oder religiösen Grenzübertritt in Kauf. Der Fernreisende will ja riechen, hören und am eigenen Körper spüren, wie weit er gekommen ist. Er will diese fremde und seltsame Welt bewundern, zunächst jedenfalls.
Dann, so ist der Mensch, will er einen Teil dieser Fremde haben, oder wie er sagen würde: ein Teil von ihr werden , sich assimilieren, offene Weltanschauung, Respekt und guten Willen demonstrieren. Dann ist er angekommen und weiß später: Er war weg. Was an Gepflogenheiten, Waren und Leistungen so einfach und so preiswert zu haben ist in der Fremde das kann doch im besten Sinne nur authentisch sein.
Authentizität oder Ursprünglichkeit, das ist die erhabenste Tugend, die so ein Traveller in der Ferne vorfinden kann. Und gleichzeitig das größte Kompliment, das er zu vergeben hat. Authentisch, das heißt in diesem Zusammenhang anders, und in der Fremde hat es anders zu sein und auszusehen als zu Hause. Und da sind wir beim Kern der Sache.Vieles davon nämlich ist nicht mehr als eine Projektion. Die Irrtümer lauten: Wenn ein Thailänder Sarongs feilbietet, ist es in Thailand gesellschaftlich verbreitet und anerkannt, sie zu tragen. Was ein einheimischer Schneider widerspruchslos schneidert, ist richtig und gut. Doch: Genauso wird man auf sieben von zehn amerikanischen Reiseführer über Deutschland ein Bild finden, auf dem rotgesichtige Männer in Tracht Bierkrüge schwenken, denn: So sind die Deutschen, no?
Manch einer ist aus solchen Irrglauben heraus mit einem Sortiment an Lederhosen in seine Heimat zurückgekehrt was solls: Auch der war also weg. Weitere Projektionen eines Travellers: Wenn die Straßen staubig sind, kannst du es ruhig auch sein. Wenn die Menschen Bärte tragen, brauchst du dich auch nicht mehr zu rasieren. Da, dieser Lendenschurz, den dieser indische Mönch dort trägt, ist er nicht ursprünglich? Schlüpfe einfach auch mal rein, und weil er so bequem ist bleib einfach für die gesamte Dauer deines Aufenthaltes in diesem Schurz! Die Einheimischen werden sich freuen, sind ja schließlich ihre Sitten.
Sicherlich weiß Gerd, wenn er nach Indien reist, dass es sich bei dem Lendenschurz, den hier die Armen und die Mönche tragen, um eine Referenz an Mahatma Ghandi handelt. Der trug so einen Lendenschurz, genannt Dhoti , und in diesem stellt er in Indien das Sinnbild tiefer Verehrung dar, und das nicht nur wegen seiner politischen Aussage, sondern auch, weil Ghandi, mit nichts als diesem selbst gesponnen Tuch bekleidet, Demut und Genügsamkeit vorlebte. Aber gelten nicht, fragt da der Traveller Gerd, der Hinduismus und der Buddhismus sowieso als die besten, friedlichsten, freiesten Religionen von allen? Natürlich, zumal wenn sie so angenehm und luftig auf der Haut zu tragen sind. Reisen wir also mit Gerd und Gitta noch etwas weiter, von Indien wieder ein gutes Stück nach Osten. Wir sind in Japan. Im Land der Geishas und der Kimonos.
Kimonos werden, und darüber freuen sich Gerd und Gitta, praktischerweise von Frauen wie von Männern getragen. Über der Taille hält sie ein kostbarer breiter Stoffgürtel zusammen, der Obi genannt, geschrieben und ausgesprochen wird, genau wie der Baumarkt, Gerd!
Natürlich kann man in Japan in vielen Geschäften Kimonos und Obis kaufen. Heute ist der Kimono ein Festgewand. Allerdings: Die Bindung des Gürtels ist kompliziert und wird in Schulen gelehrt; ursprünglich zeigte sie sogar die soziale Stellung und Situation des Trägers an. Das kann von ledig und heiratswillig bis Liebesdienerin so einiges sein.
Und wenn Gittas Taille durch die Bindung noch so vorteilhaft wirkt: Unsere Japan-Reisende werden in einem willkürlich zusammenschnürten Kimono für Heiterkeitsausbrüche, Herablassung, zumindest für hochgezogene Augenbrauen bei den Einheimischen sorgen. Mitbekommen werden sie davon wahrscheinlich gar nichts.
Wenn sie wieder nach Hause fahren, wissen sie mehr: Japan ist kulturell reich,maßlos überteuert, aber zauberhaft. Der Umgangston total höflich, sehr angenehm. Und endlich weiß man, wie authentische, japanische Küche schmeckt, die Japaner in Deutschland sind, wie man jetzt auch weiß, bereits total assimiliert. Je nachdem halt bayerische oder rheinische Japaner.
Und noch eine Erkenntnis kommt erst zu Hause: die Sarongs, Kentes und Kimonos, die in der Ferne noch so reizend mit dem Blau des Meeres und den Früchten des Wochenmarktes harmonierten bei einem Picknick am Tegernsee wirken sie deplatziert. Wie war euer Urlaub, wird es auf diesem Picknick heißen, wie sind die Menschen?
Bei den Asiaten, wird Gitta erzählen und versonnen in ihre Brezen beißen, weiß man einfach nie genau, was sie denken. Sie lächeln immer.
[hr:4517967615]
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