
Jinjok
Senior Member
Themenstarter
Aus der Süddeutschen Zeitung vom 16.04.2002
Die Brücke zum Thai
An der Grenze zwischen Thailand und Myanmar begegnen
sich jeden Tag für zwölf Stunden auch zwei Völker zum
Warenkauf
Dichter Morgennebel liegt über dem Land. Frühmorgens regt sich
nichts auf der unscheinbaren Brücke am Mae Sai. Hier soll ein
Grenzübergang sein? Einer, der den Grenzgänger mit ein paar
Schritten am Rad der Zeit drehen lässt. Einer, der Myanmar und
Thailand trennt. Hinter dessen Schlagbaum ein Land liegt, das heute so
ist wie der südliche Nachbar noch vor 20Jahren.
Gegen halb sechs Uhr, wenn der Nebel langsam aufklart, verlässt Urai
seinen Tempel. Es ist die Zeit, die Thais besonders lieben. Es wird
geputzt, gekocht, gelacht. Der Mönch geht vom Wat, seiner
Klosteranlage, würdevoll durch die Straßen in Richtung Brücke, auf
der die Grenze seines Landes zu Myanmar verläuft, wie Burma seit
1989 offiziell heißt. Einfache Sandalen, den Körper in
grell-orangefarbenes Tuch gehüllt, die runde Opferschale in beiden
Händen, den Blick ausdruckslos in die Ferne gerichtet: Urais
morgendlicher Opfergang ist sechs bis sieben Kilometer lang.
Wenn er vorbei geht, beeilen sich die Frauen, etwas von dem nur für
Mönche frisch Gekochten fein säuberlich in Plastikbeutelchen zu
verpacken und es vorsichtig in die Schale zu legen. Ihre Häupter
senken sich, die Hände werden gefaltet, denn der Gebende sagt danke,
weil er schenken durfte. Und damit eine gute Tat vollbracht hat, die
ihm in diesem und seinen weiteren Leben Verdienste einbringt. Die
Autofahrer hupen dreimal und tun das Gleiche wie die Frauen: Sie
neigen den Kopf und formen die Hände zum Wai - auch während der
Fahrt: Das Lenkrad wird losgelassen, zumindest einen kurzen
Augenblick. Alle zollen einem Mönch auf Opfergang mit dem Wai
Respekt: gefaltete Hände, die Fingerspitzen nach oben gerichtet,
mindestens auf Nasen-, oft bis auf Stirnhöhe. Die meisten Frauen legen
dem Mönch Reis und Gemüse in die bauchige Opferschale. Manchmal
ist es auch ein Stück Seife, sind es Kerzen oder sogar Zigaretten. Die
Zeiten ändern sich - auch in Mae Sai, dem nördlichsten Dorf
Thailands, 1010Kilometer von der Hauptstadt Bangkok entfernt. Urai
schaut die Frauen nicht an. Er akzeptiert die Gabe, deckt seine Schale
zu und geht wortlos weiter. Er würde auch von einem Farang, also
einer Langnase, etwas annehmen. Allerdings sollte der Fremde dabei
mit beiden Händen seine Opfergaben in die Schale legen. Denn
einhändig schenken bedeutet halbherzig schenken. So viel Thai-Knigge
muss sein.
Eine schwarze Limousine rollt an. Stoppt. Die hintere Tür öffnet sich.
Ein Mann steigt aus, gut gekleidet. Alle beobachten die Szene. Nur Urai
schaut nicht hin. Er würde nicht einmal bei Khun Sha aufblicken.
Khun Sha ist der uneingeschränkte Drogenkönig Thailands. Über zwei
Drittel der weltweiten Opiumproduktion soll von ihm kontrolliert
werden. Aber auch für ihn oder den nur regional bedeutsamen
Drogenbaron aus der Limousine öffnet Urai die Schale. Es ist nichts
Verwerfliches dabei. Auch der Drogenboss bedankt sich beim Mönch -
nicht umgekehrt.
Buddha großzügig deuten
Frühmorgens ist in Mae Sai das Leben noch wie früher, vor 20 oder
30Jahren: Buddhas Ratschläge müssen zu jeder Zeit unbedingt
geachtet, dürfen aber immer praktikabel interpretiert werden.
Inzwischen wird mehr interpretiert als geachtet. Auch in Mae Sai,
diesem kleinen Provinzdorf, ahmen die Menschen nach, was in der
Weltstadt Bangkok irgendwie amerikanisch oder europäisch erscheint.
Bangkoks Lebensstil kommt immer schneller auch in den entlegensten
Winkel des Königreichs.
Die ersten Sonnenstrahlen fallen auf die Brücke. Braun uniformierte
Grenzbeamte sind auf der thailändischen Seite zu sehen. Sie plaudern,
rauchen eine Zigarette. Die Ruhe vor dem Sturm: Um sechs Uhr öffnen
sie den Grenzübergang. Dann setzt Karawanen ähnlich der Ansturm
aus Tachilek ein, dem burmesischen Grenzdorf auf der anderen Seite.
Mit leeren Körben laufen die Frauen in ihren Trachten über die Brücke.
Junge Männer im Wickelrock fahren mit leeren Anhängern an ihrem
Fahrrad oder klapprigen Moped über die Grenze. Und sogar manches
Auto überquert von Myanmar kommend leer den Grenzbalken, der sich
jeden Tag von sechs bis sechs hebt. Zurück sind die Körbe voll mit
Früchten und anderen Lebensmitteln, die Anhänger vollgepackt mit
Computerschrott, das Auto beladen mit Kühlschrank und
Alibert-Teilen. Was die Thais nicht mehr brauchen oder im Überfluss
besitzen, können die Burmesen haben - gegen wertvolle Baht, versteht
sich. Mae Sai ist eine Handelsenklave mit Sonderstatus: Burmesen
dürfen tageweise im Thailand arbeiten, um sich die eine oder andere,
in Myanmar nicht käufliche Ware leisten zu können.
Ebenfalls um sechs Uhr öffnet der Copy-Shop neben dem
thailändischen Grenzhäuschen. Für fünf Baht kann sich der Tourist
dort seinen Reisepass kopieren lassen. Dann muss er das Original an
der Thai-Grenze deponieren und mit der Kopie zu den burmesischen
Grenzern gehen, die dann für fünf US-Dollar zwar kein Visum
vergeben, aber eine Nummer, die man sich merken sollte, um am
selben Tag, rechtzeitig vor 18Uhr, Myanmar wieder verlassen zu
können.
Mae Sai ist der richtige Ort, um zu beobachten, wie die Zeit vergeht und
vergangen ist. Bis Mittags, wenn der Spaß der frühen Morgenstunden
dem alltäglichen Stress gewichen ist, die Sonne die morgendliche Kühle
vertrieben hat, Britney Spears aus jedem zweiten CD-Player jault und
Urai längst in sein Wat zurück gekehrt ist, um zu meditieren, scheinen
in Mae Sai 20Jahre vergangen zu sein. 20Jahre, die mit ein paar
Schritten über die Brücke nach Myanmar wieder zurückgedreht
werden können.
Gegen Mittag wird es ruhiger auf der Brücke. Die Hitze wirkt lähmend.
Der Magen knurrt. Und Sanuangghit brutzelt gebratenen Reis wie am
Fließband. Ihre Garküche liegt in einer Seitengasse vor der Brücke.
Lächelnd fragt sie: ,,Gehen Sie nachher auch rüber? Sie werden
staunen. Die leben dort noch so wie wir früher." Die sind die Burmesen.
Und sie, sicher noch keine 20Jahre alt, trägt Jeans, hauteng, ein
nabelfreies Top und kurze Haare. Sie fühlt sich dem langnasigen,
weißhäutigen Farang näher als den Nachbarn aus Myanmar. Denn
Thailand ist ein Schwellenland geworden. Ausdruck dessen ist die neue
Mittelschicht, die es in Entwicklungsländern nicht gibt. Vor 20Jahren
war das noch anders. Da gab es keine Händchen haltende Pärchen auf
den Straßen, und selbst in Bangkok trugen die Frauen keine kurzen
Haare. Sie hatten ihre Haare lang und offen oder zum Pferdeschwanz
gebunden. Sanuangghit kennt diese Mode hauptsächlich aus Tachilek,
wo die ihrer Meinung nach rückständigen Burmesinnen noch so
herumlaufen.
Wenn die Thais in ihrer Geschichte einen Feind hatten, dann waren es
die Burmesen. Sie haben einst geraubt und geplündert, die alte
Königsstadt Ayutthaya zerstört, das ehrwürdige Siam, das Land der
Freien, der nie Besetzten, gedemütigt. Heute sind die Burmesen die
Bittsteller. Und natürlich gilt in Tachilek der Baht als gängige, stabile
Währung. Während mit Kyat nur die Ärmsten bezahlen.
Nachmittags, wenn die Brücke im diesigen Licht vor sich hin brütet,
gehen vornehmlich junge Thais auf einen Snack nach drüben, stellen
ihre Armani- Brillen, Ralph-Laurent-Polos und Calvin-Klein-Jeans
zur Schau. Machen sich lustig über Wickelröcke, wie sie noch ihre
Eltern getragen haben. Sie wundern sich über die farbenfrohe
traditionelle Kleidung der Burmesen. Die Thai- Bergvölker tragen ihre
angestammte Tracht ja nur noch an Festtagen - wie im Westen auch.
Selbst thailändische Reiseleiter müssen fragen, ob sie es denn nun mit
Akha oder Yao, mit Lisu oder Lahu zu tun haben. Jeans und T-Shirt
sind nun mal günstiger als die mit viel Liebe zum Detail in meist
einjähriger Handarbeit hergestellten Traditionsgewänder. Auch über
Tanaka, die kühlende Sonnenschutzcreme aus Naturholz und
-duftstoffen, die mit den Fingern ins Gesicht geschmiert wird und so
wie eine Kriegsbemalung aussieht, kichern die Teenager. So etwas
hatten sie früher auch. Heute wird Jil Sander aufgetragen.
Die burmesische Militärregierung aus der fernen Hauptstadt Yangon
scheint die Abläufe zu kennen. Deshalb hat sie aus Tachilek eine Art
Musterdorf gemacht. Immerhin kommen täglich bis zu hundert
westliche Ausländer und unzählige Thais ins Land der Junta. Nah
beieinander liegen Kirche und Moschee, buddhistischer und
chinesischer Tempel, letzterer sogar mit integrierter Schule. Und auf
einer Anhöhe protzt, überall hin strahlend, eine Replik der
weltbekannten goldenen Shwedagon-Pagode, allerdings in
zweieinhalbfacher Verkleinerung. Tachilek wirkt wie eine
Demonstration von Religionsfreiheit. Mit der Meinungsfreiheit ist es
dagegen nicht so weit her. Friedensnobelpreisträgerin Aung San Suu
Kyi steht in Yangon immer noch unter Hausarrest. Und der Lehrer von
Tachilek mag weder fotografiert noch mit Namen genannt werden.
Obgleich er sich nur verhalten äußert: ,,Wir sind arm, aber zufrieden."
Mit E-Mail, Elektroherd und Sieben-Meilen-Stiefeln ist Thailand den
Burmesen enteilt. Die Brücke am Mae Sai ist nur 300Meter lang,
inklusive 40 Schritt Niemandsland, und keine zwölf Meter breit. Eine
schlichte Betonkonstruktion mit einem halbrunden Bogen über der
Mitte: ,,Union of Myanmar" steht darauf. Ein Bogen, der zwei Welten
trennt.
Im Moment wird die Brücke restauriert - natürlich mit Thai-Geldern,
aber von burmesischen Arbeitern. Tageslohn fünf Euro, die Werkzeuge
sind ein Eimer und eine Kelle, der Lastenaufzug besteht aus vier Mann
und zwei geflochtenen Körben, das Gerüst ist aus Bambus
zusammengeschnürt. Ein archaisches Bild, besonders für die Jungen,
die Bangkok kennen, wo in den letzten 20Jahren eine Skyline
amerikanischer Ausmaße entstanden ist. Für die jungen
Thai-Besucher ist die Tachilek-Visite ein günstiger Zeitvertreib, ein
kleiner Triumph vielleicht und in jedem Fall ein Riesenspaß.
Nur wenn auf der Brücke geschossen wird, hat der Spaß für die einen
und der Handel für die anderen ein Ende. Die Brücke wird geschlossen.
So wie an einem Tag im Juni 2001. ,,Früher", sagt ein
Thai-Grenzbeamter, ,,war sie öfter zu als offen". Über den Grund
schweigen beide, die Thais und die Burmesen. Dann kann es nur um
Geld gehen. Um viel Geld. Um Opium. Immer noch und schon wieder.
Die Geldwaschmaschine
Der Name Goldenes Dreieck, wo Thailand, Myanmar und Laos
aneinander grenzen, rührt vom Drogenhandel her. Früher wurde das
Rauschgift in Gold bezahlt. Eine Einheit wog 15,2Gramm, das Gewicht
der heutigen Baht- Münze. Der Lehrer aus Tachilek sagt: ,,Das
Goldene Dreieck ist ein Geflecht aus vier Komponenten. Mit Opium
wird Geld erwirtschaftet, schmutziges Geld. Es fließt ins Casino, wird
dort gewaschen und kommt als sauberes Geld wieder heraus: ein
goldenes Viereck." Er erschrickt. Sein Blick verrät: Das hätte er dem
Fremden nicht sagen dürfen. Denn Myanmar steckt tief drin im
internationalen Rauschgiftgeschäft. Und die Geldwaschmaschine steht
wie ein Symbol auf burmesischem Boden direkt am Goldenen Dreieck,
wo die drei Länder nur vom breiten Mekong getrennt werden.
Thailändische Investoren haben sie erbaut und ,,Paradise" getauft. Ein
Hotel-Casino, das kaum ein Tourist aufsucht, das ohne
Passformalitäten aus Thailand und Laos besucht werden kann und nur
einem einzigen Zweck dient: dem der Geldwäsche.
Das geschieht nachts, wenn die Dunkelheit alle Konturen verwischt,
Gesichter nicht erkennbar sind und die Brücke am Mae Sai Ruhe hat.
Bis zum nächsten Morgen. Bis sich der Nebel langsam aufklart. Bis
Urai auf seinen Opfergang geht. Bis der Copy-Shop aufmacht. Bis halb
Tachilek über die Brücke geht. Bis eben wieder ein ganz normaler Tag
an der Brücke am Mae Sai beginnt.
Jochen Müssig
INFORMATIONEN:
Reisearrangement: Thailand im Wandel zwischen Tradition und
Moderne erlebt man in komprimierter Form am besten auf
Rundtouren. Der Thailand- Spezialist Meier's Weltreisen bietet die
Brücke am Mae Sai und weitere Stationen im Norden um Chiang Mai
und Chiang Rai auf der kombinierten Flug- und Busrundreise
,,Faszination Goldenes Dreieck" an. Eine Woche inklusive Flüge, Hotels
der gehobenen Mittelklasse, Halbpension, deutschsprachiger
Reiseleitung und Eintrittsgeldern kostet pro Person ab 1039 Euro.
Meier's Weltreisen fliegt mit LTU (in der Wintersaison), Lufthansa und
Thai Airways.
Allgemeine Auskünfte: Thailändisches Fremdenverkehrsamt,
Bethmann straße58, 60311Frankfurt, Telefon 069/1381390, Fax: 069/13
813950, E-Mail tatfra@t-online.de, Internet www.thailandtourismus.de
und www.tourismthailand.org
Die Brücke zum Thai
An der Grenze zwischen Thailand und Myanmar begegnen
sich jeden Tag für zwölf Stunden auch zwei Völker zum
Warenkauf
Dichter Morgennebel liegt über dem Land. Frühmorgens regt sich
nichts auf der unscheinbaren Brücke am Mae Sai. Hier soll ein
Grenzübergang sein? Einer, der den Grenzgänger mit ein paar
Schritten am Rad der Zeit drehen lässt. Einer, der Myanmar und
Thailand trennt. Hinter dessen Schlagbaum ein Land liegt, das heute so
ist wie der südliche Nachbar noch vor 20Jahren.
Gegen halb sechs Uhr, wenn der Nebel langsam aufklart, verlässt Urai
seinen Tempel. Es ist die Zeit, die Thais besonders lieben. Es wird
geputzt, gekocht, gelacht. Der Mönch geht vom Wat, seiner
Klosteranlage, würdevoll durch die Straßen in Richtung Brücke, auf
der die Grenze seines Landes zu Myanmar verläuft, wie Burma seit
1989 offiziell heißt. Einfache Sandalen, den Körper in
grell-orangefarbenes Tuch gehüllt, die runde Opferschale in beiden
Händen, den Blick ausdruckslos in die Ferne gerichtet: Urais
morgendlicher Opfergang ist sechs bis sieben Kilometer lang.
Wenn er vorbei geht, beeilen sich die Frauen, etwas von dem nur für
Mönche frisch Gekochten fein säuberlich in Plastikbeutelchen zu
verpacken und es vorsichtig in die Schale zu legen. Ihre Häupter
senken sich, die Hände werden gefaltet, denn der Gebende sagt danke,
weil er schenken durfte. Und damit eine gute Tat vollbracht hat, die
ihm in diesem und seinen weiteren Leben Verdienste einbringt. Die
Autofahrer hupen dreimal und tun das Gleiche wie die Frauen: Sie
neigen den Kopf und formen die Hände zum Wai - auch während der
Fahrt: Das Lenkrad wird losgelassen, zumindest einen kurzen
Augenblick. Alle zollen einem Mönch auf Opfergang mit dem Wai
Respekt: gefaltete Hände, die Fingerspitzen nach oben gerichtet,
mindestens auf Nasen-, oft bis auf Stirnhöhe. Die meisten Frauen legen
dem Mönch Reis und Gemüse in die bauchige Opferschale. Manchmal
ist es auch ein Stück Seife, sind es Kerzen oder sogar Zigaretten. Die
Zeiten ändern sich - auch in Mae Sai, dem nördlichsten Dorf
Thailands, 1010Kilometer von der Hauptstadt Bangkok entfernt. Urai
schaut die Frauen nicht an. Er akzeptiert die Gabe, deckt seine Schale
zu und geht wortlos weiter. Er würde auch von einem Farang, also
einer Langnase, etwas annehmen. Allerdings sollte der Fremde dabei
mit beiden Händen seine Opfergaben in die Schale legen. Denn
einhändig schenken bedeutet halbherzig schenken. So viel Thai-Knigge
muss sein.
Eine schwarze Limousine rollt an. Stoppt. Die hintere Tür öffnet sich.
Ein Mann steigt aus, gut gekleidet. Alle beobachten die Szene. Nur Urai
schaut nicht hin. Er würde nicht einmal bei Khun Sha aufblicken.
Khun Sha ist der uneingeschränkte Drogenkönig Thailands. Über zwei
Drittel der weltweiten Opiumproduktion soll von ihm kontrolliert
werden. Aber auch für ihn oder den nur regional bedeutsamen
Drogenbaron aus der Limousine öffnet Urai die Schale. Es ist nichts
Verwerfliches dabei. Auch der Drogenboss bedankt sich beim Mönch -
nicht umgekehrt.
Buddha großzügig deuten
Frühmorgens ist in Mae Sai das Leben noch wie früher, vor 20 oder
30Jahren: Buddhas Ratschläge müssen zu jeder Zeit unbedingt
geachtet, dürfen aber immer praktikabel interpretiert werden.
Inzwischen wird mehr interpretiert als geachtet. Auch in Mae Sai,
diesem kleinen Provinzdorf, ahmen die Menschen nach, was in der
Weltstadt Bangkok irgendwie amerikanisch oder europäisch erscheint.
Bangkoks Lebensstil kommt immer schneller auch in den entlegensten
Winkel des Königreichs.
Die ersten Sonnenstrahlen fallen auf die Brücke. Braun uniformierte
Grenzbeamte sind auf der thailändischen Seite zu sehen. Sie plaudern,
rauchen eine Zigarette. Die Ruhe vor dem Sturm: Um sechs Uhr öffnen
sie den Grenzübergang. Dann setzt Karawanen ähnlich der Ansturm
aus Tachilek ein, dem burmesischen Grenzdorf auf der anderen Seite.
Mit leeren Körben laufen die Frauen in ihren Trachten über die Brücke.
Junge Männer im Wickelrock fahren mit leeren Anhängern an ihrem
Fahrrad oder klapprigen Moped über die Grenze. Und sogar manches
Auto überquert von Myanmar kommend leer den Grenzbalken, der sich
jeden Tag von sechs bis sechs hebt. Zurück sind die Körbe voll mit
Früchten und anderen Lebensmitteln, die Anhänger vollgepackt mit
Computerschrott, das Auto beladen mit Kühlschrank und
Alibert-Teilen. Was die Thais nicht mehr brauchen oder im Überfluss
besitzen, können die Burmesen haben - gegen wertvolle Baht, versteht
sich. Mae Sai ist eine Handelsenklave mit Sonderstatus: Burmesen
dürfen tageweise im Thailand arbeiten, um sich die eine oder andere,
in Myanmar nicht käufliche Ware leisten zu können.
Ebenfalls um sechs Uhr öffnet der Copy-Shop neben dem
thailändischen Grenzhäuschen. Für fünf Baht kann sich der Tourist
dort seinen Reisepass kopieren lassen. Dann muss er das Original an
der Thai-Grenze deponieren und mit der Kopie zu den burmesischen
Grenzern gehen, die dann für fünf US-Dollar zwar kein Visum
vergeben, aber eine Nummer, die man sich merken sollte, um am
selben Tag, rechtzeitig vor 18Uhr, Myanmar wieder verlassen zu
können.
Mae Sai ist der richtige Ort, um zu beobachten, wie die Zeit vergeht und
vergangen ist. Bis Mittags, wenn der Spaß der frühen Morgenstunden
dem alltäglichen Stress gewichen ist, die Sonne die morgendliche Kühle
vertrieben hat, Britney Spears aus jedem zweiten CD-Player jault und
Urai längst in sein Wat zurück gekehrt ist, um zu meditieren, scheinen
in Mae Sai 20Jahre vergangen zu sein. 20Jahre, die mit ein paar
Schritten über die Brücke nach Myanmar wieder zurückgedreht
werden können.
Gegen Mittag wird es ruhiger auf der Brücke. Die Hitze wirkt lähmend.
Der Magen knurrt. Und Sanuangghit brutzelt gebratenen Reis wie am
Fließband. Ihre Garküche liegt in einer Seitengasse vor der Brücke.
Lächelnd fragt sie: ,,Gehen Sie nachher auch rüber? Sie werden
staunen. Die leben dort noch so wie wir früher." Die sind die Burmesen.
Und sie, sicher noch keine 20Jahre alt, trägt Jeans, hauteng, ein
nabelfreies Top und kurze Haare. Sie fühlt sich dem langnasigen,
weißhäutigen Farang näher als den Nachbarn aus Myanmar. Denn
Thailand ist ein Schwellenland geworden. Ausdruck dessen ist die neue
Mittelschicht, die es in Entwicklungsländern nicht gibt. Vor 20Jahren
war das noch anders. Da gab es keine Händchen haltende Pärchen auf
den Straßen, und selbst in Bangkok trugen die Frauen keine kurzen
Haare. Sie hatten ihre Haare lang und offen oder zum Pferdeschwanz
gebunden. Sanuangghit kennt diese Mode hauptsächlich aus Tachilek,
wo die ihrer Meinung nach rückständigen Burmesinnen noch so
herumlaufen.
Wenn die Thais in ihrer Geschichte einen Feind hatten, dann waren es
die Burmesen. Sie haben einst geraubt und geplündert, die alte
Königsstadt Ayutthaya zerstört, das ehrwürdige Siam, das Land der
Freien, der nie Besetzten, gedemütigt. Heute sind die Burmesen die
Bittsteller. Und natürlich gilt in Tachilek der Baht als gängige, stabile
Währung. Während mit Kyat nur die Ärmsten bezahlen.
Nachmittags, wenn die Brücke im diesigen Licht vor sich hin brütet,
gehen vornehmlich junge Thais auf einen Snack nach drüben, stellen
ihre Armani- Brillen, Ralph-Laurent-Polos und Calvin-Klein-Jeans
zur Schau. Machen sich lustig über Wickelröcke, wie sie noch ihre
Eltern getragen haben. Sie wundern sich über die farbenfrohe
traditionelle Kleidung der Burmesen. Die Thai- Bergvölker tragen ihre
angestammte Tracht ja nur noch an Festtagen - wie im Westen auch.
Selbst thailändische Reiseleiter müssen fragen, ob sie es denn nun mit
Akha oder Yao, mit Lisu oder Lahu zu tun haben. Jeans und T-Shirt
sind nun mal günstiger als die mit viel Liebe zum Detail in meist
einjähriger Handarbeit hergestellten Traditionsgewänder. Auch über
Tanaka, die kühlende Sonnenschutzcreme aus Naturholz und
-duftstoffen, die mit den Fingern ins Gesicht geschmiert wird und so
wie eine Kriegsbemalung aussieht, kichern die Teenager. So etwas
hatten sie früher auch. Heute wird Jil Sander aufgetragen.
Die burmesische Militärregierung aus der fernen Hauptstadt Yangon
scheint die Abläufe zu kennen. Deshalb hat sie aus Tachilek eine Art
Musterdorf gemacht. Immerhin kommen täglich bis zu hundert
westliche Ausländer und unzählige Thais ins Land der Junta. Nah
beieinander liegen Kirche und Moschee, buddhistischer und
chinesischer Tempel, letzterer sogar mit integrierter Schule. Und auf
einer Anhöhe protzt, überall hin strahlend, eine Replik der
weltbekannten goldenen Shwedagon-Pagode, allerdings in
zweieinhalbfacher Verkleinerung. Tachilek wirkt wie eine
Demonstration von Religionsfreiheit. Mit der Meinungsfreiheit ist es
dagegen nicht so weit her. Friedensnobelpreisträgerin Aung San Suu
Kyi steht in Yangon immer noch unter Hausarrest. Und der Lehrer von
Tachilek mag weder fotografiert noch mit Namen genannt werden.
Obgleich er sich nur verhalten äußert: ,,Wir sind arm, aber zufrieden."
Mit E-Mail, Elektroherd und Sieben-Meilen-Stiefeln ist Thailand den
Burmesen enteilt. Die Brücke am Mae Sai ist nur 300Meter lang,
inklusive 40 Schritt Niemandsland, und keine zwölf Meter breit. Eine
schlichte Betonkonstruktion mit einem halbrunden Bogen über der
Mitte: ,,Union of Myanmar" steht darauf. Ein Bogen, der zwei Welten
trennt.
Im Moment wird die Brücke restauriert - natürlich mit Thai-Geldern,
aber von burmesischen Arbeitern. Tageslohn fünf Euro, die Werkzeuge
sind ein Eimer und eine Kelle, der Lastenaufzug besteht aus vier Mann
und zwei geflochtenen Körben, das Gerüst ist aus Bambus
zusammengeschnürt. Ein archaisches Bild, besonders für die Jungen,
die Bangkok kennen, wo in den letzten 20Jahren eine Skyline
amerikanischer Ausmaße entstanden ist. Für die jungen
Thai-Besucher ist die Tachilek-Visite ein günstiger Zeitvertreib, ein
kleiner Triumph vielleicht und in jedem Fall ein Riesenspaß.
Nur wenn auf der Brücke geschossen wird, hat der Spaß für die einen
und der Handel für die anderen ein Ende. Die Brücke wird geschlossen.
So wie an einem Tag im Juni 2001. ,,Früher", sagt ein
Thai-Grenzbeamter, ,,war sie öfter zu als offen". Über den Grund
schweigen beide, die Thais und die Burmesen. Dann kann es nur um
Geld gehen. Um viel Geld. Um Opium. Immer noch und schon wieder.
Die Geldwaschmaschine
Der Name Goldenes Dreieck, wo Thailand, Myanmar und Laos
aneinander grenzen, rührt vom Drogenhandel her. Früher wurde das
Rauschgift in Gold bezahlt. Eine Einheit wog 15,2Gramm, das Gewicht
der heutigen Baht- Münze. Der Lehrer aus Tachilek sagt: ,,Das
Goldene Dreieck ist ein Geflecht aus vier Komponenten. Mit Opium
wird Geld erwirtschaftet, schmutziges Geld. Es fließt ins Casino, wird
dort gewaschen und kommt als sauberes Geld wieder heraus: ein
goldenes Viereck." Er erschrickt. Sein Blick verrät: Das hätte er dem
Fremden nicht sagen dürfen. Denn Myanmar steckt tief drin im
internationalen Rauschgiftgeschäft. Und die Geldwaschmaschine steht
wie ein Symbol auf burmesischem Boden direkt am Goldenen Dreieck,
wo die drei Länder nur vom breiten Mekong getrennt werden.
Thailändische Investoren haben sie erbaut und ,,Paradise" getauft. Ein
Hotel-Casino, das kaum ein Tourist aufsucht, das ohne
Passformalitäten aus Thailand und Laos besucht werden kann und nur
einem einzigen Zweck dient: dem der Geldwäsche.
Das geschieht nachts, wenn die Dunkelheit alle Konturen verwischt,
Gesichter nicht erkennbar sind und die Brücke am Mae Sai Ruhe hat.
Bis zum nächsten Morgen. Bis sich der Nebel langsam aufklart. Bis
Urai auf seinen Opfergang geht. Bis der Copy-Shop aufmacht. Bis halb
Tachilek über die Brücke geht. Bis eben wieder ein ganz normaler Tag
an der Brücke am Mae Sai beginnt.
Jochen Müssig
INFORMATIONEN:
Reisearrangement: Thailand im Wandel zwischen Tradition und
Moderne erlebt man in komprimierter Form am besten auf
Rundtouren. Der Thailand- Spezialist Meier's Weltreisen bietet die
Brücke am Mae Sai und weitere Stationen im Norden um Chiang Mai
und Chiang Rai auf der kombinierten Flug- und Busrundreise
,,Faszination Goldenes Dreieck" an. Eine Woche inklusive Flüge, Hotels
der gehobenen Mittelklasse, Halbpension, deutschsprachiger
Reiseleitung und Eintrittsgeldern kostet pro Person ab 1039 Euro.
Meier's Weltreisen fliegt mit LTU (in der Wintersaison), Lufthansa und
Thai Airways.
Allgemeine Auskünfte: Thailändisches Fremdenverkehrsamt,
Bethmann straße58, 60311Frankfurt, Telefon 069/1381390, Fax: 069/13
813950, E-Mail tatfra@t-online.de, Internet www.thailandtourismus.de
und www.tourismthailand.org