
Jinjok
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Themenstarter
Aus der Frankfurter Rundschau vom 23.04.2002
Verfolgt und unterdrückt
Die politisch entrechteten Bergvölker im Norden Thailands werden von Bangkok noch immer diskriminiert und drangsaliert
Von Marwaan Macan-Markar (IPS)
Immer wenn Ayo zu einer Reise in den Süden Thailands aufbricht, in die Hauptstadt Bangkok etwa, muss er mit seiner Verhaftung rechnen. Denn der junge Mann ist ein Akha, ein Angehöriger eines der rund 20 Bergvölker, die im Norden des südostasiatischen Landes leben. Als Touristenattraktion sind die Volksgemeinschaften gern gesehen, politisch genießen sie aber keinerlei Rechte.
"Wir leben in ständiger Angst vor der Polizei, wenn wir unsere Wohngebiete verlassen", sagt der 20-Jährige, der wie die meisten Akha nur einen Namen hat. Die Ethnie gehört mit den Lahu, Lisu und Karen zu den größeren Volksgruppen, die sich im Norden Thailands angesiedelt haben. Zusammen sind sie eine Million Menschen.
Ayo ist sich bewusst, dass er vor allem deshalb Probleme mit den Behörden bekommt, weil die Regierung in Bangkok die Ureinwohner nicht als gleichwertige Bürger anerkennt, obwohl viele von ihnen in Thailand geboren sind. Gleichzeitig fühlt er sich missbraucht. Das hindert die Behörden jedoch nicht daran, die Ethnien in den Dienst der lokalen Tourismusindustrie zu stellen. Für den Fremdenverkehr der nördlichen Städte Chiang Rai, in deren Nähe die Akha zu Hause sind, sowie von Chiang Mai sind die Ureinwohner ein wichtiger Wirtschaftsfaktor.
Ob am Flughafen oder in Chiang Rais kleinen Gassen, überall stolpern ausländische Besucher über Poster und Postkarten, auf denen die Bergbewohner in ihren prächtigen farbenfrohen Gewändern abgebildet sind. Die Akha sind für ihren mit Silberornamenten verzierten Kopfschmuck bekannt, die Lahu-Frauen für ihre vornehmen schwarzroten Jacken.
Im vergangenen Jahr haben die beiden Städte mehr als 1,9 Millionen Touristen angezogen, von insgesamt zehn Millionen Ausländern, die das südostasiatische Land besucht haben. Im Jahr 2000 waren es 1,7 Millionen Urlauber, die es in die nördlichen Städte zog. "Die Bergvölker sind für den Fremdenverkehr des Nordens äußerst wichtig. Eine größere Zugkraft hat nur noch der Trekking- und Ökotourismus", bestätigt Smithseth Chantusen von Thailands Tourismusbehörde.
Doch das zweierlei Maß, das an die Ureinwohner gelegt wird, hält Chayan Vaddhanaphuti, Anthropologe der Universität von Chiang Mai, für inhuman. Eine Politik, die Menschen als Ware betrachte, werfe zudem ein äußerst schlechtes Licht auf Thailand. An der Lage der Bergvölker wird sich nach Ansicht des Wissenschaftlers vorerst wenig ändern. Die Ureinwohner werden weiterhin als "Fremde" betrachtet und aus diesem Grund auch nicht mit den Rechten ausgestattet, die thailändische Bürger genießen. "Viele von ihnen haben keinen legalen Status und können aus verschiedenen Gründen verhaftet werden. Das gilt auch in den Fällen, wenn sie den Norden verlassen." Das Ausmaß der Diskriminierung ist selbst für Menschenrechtler, die sich seit langem für die Ethnien einsetzen, schockierend. "Das ist Ausbeutung, weil die Regierungen nur daran interessiert sind, aus den Menschen Profit zu schlagen", so Sombat Boongamanong, Leiter der "Mirror Art Group", einer unabhängigen Organisation, die mit den Kindern der Bergvölker zusammenarbeitet. "Man sollte ihnen und insbesondere denen, die in unserem Land geboren sind, ein Bleiberecht, größere Bewegungsfreiheiten und eine Arbeitserlaubnis gewähren", fordert er.
Bisher sind Angehörige dieser Ethnien weitgehend recht- und schutzlos. So kommt es vor, dass sie für mehr als 20 Tage eingesperrt werden, ohne dass sie einen Rechtsanwalt zu Gesicht bekommen. Für die Hilfsorganisationen, die sich mit den Völkern befassen, ist dieser Umgang exemplarisch und Spiegel der weit verbreiteten Vorurteile gegen die Bergbewohner. Wie der Menschenrechtler Sunai Phasuk berichtet, haben selbst diejenigen, die für die Implementierung der weitreichenden Bürgerrechte verantwortlich zeichnen, wie sie in der Verfassung von 1997 festgeschrieben sind, die Bergvölker links liegen gelassen. "Die Ureinwohner hatten sich während der Hearings zu Wort gemeldet, doch ihre Wünsche und Vorschläge sind nicht in unserer Verfassung berücksichtigt worden", bedauert Sunai, politischer Analyst des "Forum Asia", einer in Bangkok angesiedelten Menschenrechtsgruppe.
Organisationen wie die "Assembly of Indigenous and Tribal Peoples of Thailand" (AITT) haben die Regierung in diesen Tagen in einer Petition aufgefordert, ihre ausgrenzende Haltung gegenüber den Ureinwohnern zu ändern. "Die Arbeit und die Verfahrensweise der Regierungen in der Vergangenheit lassen eine Sichtweise erkennen, wonach indigene und Stammesvölker ausschließlich als Quelle von Problemen betrachtet werden", so die Gruppe in ihrem Papier.
AITT erinnert daran, dass die Bergvölker Bangkok während der staatlichen Bekämpfung kommunistischer Rebellen in der Zeit des Kalten Krieges noch willkommen waren. Doch seit den frühen 90er Jahren werden die Gemeinschaften marginalisiert. Ihre Kultur und Traditionen ließen sich mit der thailändischen Lebensweise nicht vereinbaren, heißt es heute.
Von der einen Million Ureinwohner, die im Norden Thailands leben, besitzen nur 300 000 Aufenthaltsgenehmigungen. Die Übrigen halten sich quasi illegal in Thailand auf, auch wenn sie hier geboren sind. Gegen diese Situation will der 20-jährige Ayo vorgehen. Er bemüht sich darum, den rund 76 Familien, die in seinem Dorf leben, die notwendigen Aufenthaltspapiere zu beschaffen. "Ich habe mich über unsere Rechte informiert und helfe den Familien, die Anträge richtig auszufüllen. Trotzdem läuft vieles nicht nach Plan." Doch die Widerstände von Seiten der Behörden vermögen den Akha nicht zu frustrieren. "Wenn ich nichts unternehme, wird das niemand tun", sagt er. "Ich werde für mein Dorf kämpfen und dafür sorgen, dass wir Thais werden."
Verfolgt und unterdrückt
Die politisch entrechteten Bergvölker im Norden Thailands werden von Bangkok noch immer diskriminiert und drangsaliert
Von Marwaan Macan-Markar (IPS)
Immer wenn Ayo zu einer Reise in den Süden Thailands aufbricht, in die Hauptstadt Bangkok etwa, muss er mit seiner Verhaftung rechnen. Denn der junge Mann ist ein Akha, ein Angehöriger eines der rund 20 Bergvölker, die im Norden des südostasiatischen Landes leben. Als Touristenattraktion sind die Volksgemeinschaften gern gesehen, politisch genießen sie aber keinerlei Rechte.
"Wir leben in ständiger Angst vor der Polizei, wenn wir unsere Wohngebiete verlassen", sagt der 20-Jährige, der wie die meisten Akha nur einen Namen hat. Die Ethnie gehört mit den Lahu, Lisu und Karen zu den größeren Volksgruppen, die sich im Norden Thailands angesiedelt haben. Zusammen sind sie eine Million Menschen.
Ayo ist sich bewusst, dass er vor allem deshalb Probleme mit den Behörden bekommt, weil die Regierung in Bangkok die Ureinwohner nicht als gleichwertige Bürger anerkennt, obwohl viele von ihnen in Thailand geboren sind. Gleichzeitig fühlt er sich missbraucht. Das hindert die Behörden jedoch nicht daran, die Ethnien in den Dienst der lokalen Tourismusindustrie zu stellen. Für den Fremdenverkehr der nördlichen Städte Chiang Rai, in deren Nähe die Akha zu Hause sind, sowie von Chiang Mai sind die Ureinwohner ein wichtiger Wirtschaftsfaktor.
Ob am Flughafen oder in Chiang Rais kleinen Gassen, überall stolpern ausländische Besucher über Poster und Postkarten, auf denen die Bergbewohner in ihren prächtigen farbenfrohen Gewändern abgebildet sind. Die Akha sind für ihren mit Silberornamenten verzierten Kopfschmuck bekannt, die Lahu-Frauen für ihre vornehmen schwarzroten Jacken.
Im vergangenen Jahr haben die beiden Städte mehr als 1,9 Millionen Touristen angezogen, von insgesamt zehn Millionen Ausländern, die das südostasiatische Land besucht haben. Im Jahr 2000 waren es 1,7 Millionen Urlauber, die es in die nördlichen Städte zog. "Die Bergvölker sind für den Fremdenverkehr des Nordens äußerst wichtig. Eine größere Zugkraft hat nur noch der Trekking- und Ökotourismus", bestätigt Smithseth Chantusen von Thailands Tourismusbehörde.
Doch das zweierlei Maß, das an die Ureinwohner gelegt wird, hält Chayan Vaddhanaphuti, Anthropologe der Universität von Chiang Mai, für inhuman. Eine Politik, die Menschen als Ware betrachte, werfe zudem ein äußerst schlechtes Licht auf Thailand. An der Lage der Bergvölker wird sich nach Ansicht des Wissenschaftlers vorerst wenig ändern. Die Ureinwohner werden weiterhin als "Fremde" betrachtet und aus diesem Grund auch nicht mit den Rechten ausgestattet, die thailändische Bürger genießen. "Viele von ihnen haben keinen legalen Status und können aus verschiedenen Gründen verhaftet werden. Das gilt auch in den Fällen, wenn sie den Norden verlassen." Das Ausmaß der Diskriminierung ist selbst für Menschenrechtler, die sich seit langem für die Ethnien einsetzen, schockierend. "Das ist Ausbeutung, weil die Regierungen nur daran interessiert sind, aus den Menschen Profit zu schlagen", so Sombat Boongamanong, Leiter der "Mirror Art Group", einer unabhängigen Organisation, die mit den Kindern der Bergvölker zusammenarbeitet. "Man sollte ihnen und insbesondere denen, die in unserem Land geboren sind, ein Bleiberecht, größere Bewegungsfreiheiten und eine Arbeitserlaubnis gewähren", fordert er.
Bisher sind Angehörige dieser Ethnien weitgehend recht- und schutzlos. So kommt es vor, dass sie für mehr als 20 Tage eingesperrt werden, ohne dass sie einen Rechtsanwalt zu Gesicht bekommen. Für die Hilfsorganisationen, die sich mit den Völkern befassen, ist dieser Umgang exemplarisch und Spiegel der weit verbreiteten Vorurteile gegen die Bergbewohner. Wie der Menschenrechtler Sunai Phasuk berichtet, haben selbst diejenigen, die für die Implementierung der weitreichenden Bürgerrechte verantwortlich zeichnen, wie sie in der Verfassung von 1997 festgeschrieben sind, die Bergvölker links liegen gelassen. "Die Ureinwohner hatten sich während der Hearings zu Wort gemeldet, doch ihre Wünsche und Vorschläge sind nicht in unserer Verfassung berücksichtigt worden", bedauert Sunai, politischer Analyst des "Forum Asia", einer in Bangkok angesiedelten Menschenrechtsgruppe.
Organisationen wie die "Assembly of Indigenous and Tribal Peoples of Thailand" (AITT) haben die Regierung in diesen Tagen in einer Petition aufgefordert, ihre ausgrenzende Haltung gegenüber den Ureinwohnern zu ändern. "Die Arbeit und die Verfahrensweise der Regierungen in der Vergangenheit lassen eine Sichtweise erkennen, wonach indigene und Stammesvölker ausschließlich als Quelle von Problemen betrachtet werden", so die Gruppe in ihrem Papier.
AITT erinnert daran, dass die Bergvölker Bangkok während der staatlichen Bekämpfung kommunistischer Rebellen in der Zeit des Kalten Krieges noch willkommen waren. Doch seit den frühen 90er Jahren werden die Gemeinschaften marginalisiert. Ihre Kultur und Traditionen ließen sich mit der thailändischen Lebensweise nicht vereinbaren, heißt es heute.
Von der einen Million Ureinwohner, die im Norden Thailands leben, besitzen nur 300 000 Aufenthaltsgenehmigungen. Die Übrigen halten sich quasi illegal in Thailand auf, auch wenn sie hier geboren sind. Gegen diese Situation will der 20-jährige Ayo vorgehen. Er bemüht sich darum, den rund 76 Familien, die in seinem Dorf leben, die notwendigen Aufenthaltspapiere zu beschaffen. "Ich habe mich über unsere Rechte informiert und helfe den Familien, die Anträge richtig auszufüllen. Trotzdem läuft vieles nicht nach Plan." Doch die Widerstände von Seiten der Behörden vermögen den Akha nicht zu frustrieren. "Wenn ich nichts unternehme, wird das niemand tun", sagt er. "Ich werde für mein Dorf kämpfen und dafür sorgen, dass wir Thais werden."