@xenusion
Dein Posting über den Wert einer Stunde hat mich an die alten thailändischen oder chinesischen Münzen erinnert, Münzen mit einem Loch in der Mitte.
Vielleicht hat der Eine oder Andere von Euch ja auch schon einmal eine solche Münze erhalten, durch deren Loch zahlreiche Fäden geknüpft waren. Ich habe so eine Münze in Laos von einer hübschen Laotin erhalten und halte sie sehr in Ehren.
Diese kleine Geschichte von Joe Lederer soll Euch erklären, was dieses Geschenk bedeutet den Wert einer Stunde:
Ich war im Frühjahr in Shanghai angekommen und die Hitze war mörderisch. Die Kanäle stanken und immer war der ranzige Geruch von Sojabohnenöl in der Luft. Ich konnte mich nicht eingewöhnen. Vor kleinen Lehmhütten spielten nackte Kinder. Nachts zirpten die Zikaden im Garten und ließen mich nicht schlafen. Im Herbst kam der Taifun und der Regen stand wie eine gläserne Wand vor den Fenstern. Ich hatte Heimweh nach Europa. Es gab niemand, mit dem ich befreundet war. Ich kam mir ganz verloren vor in dem Meer von gelben Gesichtern. Und dann kam Weihnachten.
Ich wohnte bei Europäern, die chinesische Diener hatten. Der oberste von ihnen war der Koch, Ta-fse-fu, der große Herr der Küche. Er sprach gebrochen deutsch und war der Dolmetscher zwischen mir und dem Zimmerkuli, dem Ofenkuli, dem Wäschekuli und was es da sonst eben noch an Dienerschaft gab.
Am Heiligen Abend saß ich wieder einmal verheult in meinem Zimmer; es klopfte und Ta-fse-fu trat ein. Er überreichte mir ein Geschenk, eine alte chinesische Münze mit einem Loch in der Mitte und durch dieses Loch waren viele bunte Fäden gezogen.
Sehr alte Münze sagte der Koch feierlich. Und Fäden gehören auch Dir. Fäden von mir und mein Frau und Brüder von Ofenkuli und Wäschekuli und von uns alle.
Ich bedankte mich. Es war merkwürdiges Geschenk, viel merkwürdiger als ich zuerst dachte.
Als ich die Münze einem Bekannten zeigte, der schon lange in China lebte, erklärte der mir, was es mit dieser Münze für eine Bewandtnis hat:
Es gibt einige dieser Münzen - nicht viele - in Ostasien. Jeder Faden ist eine Stunde des Glücks. Der Koch hatte seine Freunde gefragt Willst Du von dem Glück, das Dir für Dein Leben vorausbestimmt ist, eine Stunde des Glücks abgeben? Und Ofenkuli, Zimmerkuli, Wäschekuli und ihre Verwandten hatten für mich, den fremden Europäer, einen Faden gegeben als Zeichen dafür, daß sie mir von Ihrem eigenen Glück eine Stunde schenkten. Ein großes Opfer, denn wenn sie auch bereit waren auf eine Stunde Ihres Glücks zu verzichten, lag es nicht in ihrer Macht, zu bestimmen, welche Stunde es sein würde.
Das Schicksal würde entscheiden ob sie die Glücksstunde abtraten in denen ihnen ein reicher Verwandter sein Hab und Gut überschrieben hätte oder ob es nur eine der vielen Stunden sein würde, in denen sie glücklich beim Reiswein saßen; ob sie die Glückstunde wegschenkten, in der das Auto, das sie sonst überfahren hätte noch rechtzeitig bremste oder die Stunde in der sie vielleicht vermählt worden wären.
Blindlings und mit weit offenen Augen machten sie mir, einem Fremden, einen Teil Ihres Lebens zum Geschenk.
Nun ja, Asiaten sind abergläubisch. Aber ich habe nie wieder ein Geschenk bekommen, das sich mit diesem hätte vergleichen lassen. Von diesem Tage an habe ich mich in China wohlgefühlt.
Die Münze habe ich viele Jahre besessen.
Eine Tages lernte ich jemanden kennen, der war noch viel übler dran als ich damals in Shanghai. Da habe ich einen Faden genommen und zu den anderen durch das Loch der Münze geknüpft. Dann habe ich die Münze verschenkt.
Solche Münzen werden auch heute noch in Laos als großer Freundschaftsbeweis verschenkt. Auch im Grenzgebiet zu Thailand ist dieser Brauch bekannt.
Gruß
Mang-gon Jai